Auf Rädern in die Chefetage

Werbung
Werbung
Werbung

11.000 Mitarbeiter und einen Rollstuhl unter sich: Als körperlich beeinträchtigter Spitzenmanager ist Wolfgang Reithofer eine Seltenheit. Zahlreiche Initiativen wollen das ändern und unterstützen geh-, seh- oder gehörbehinderte Menschen auf ihrem Karriereweg.

Ich sehe keinen Grund, warum ein Behinderter nur wegen seiner Behinderung - wenn sie nicht spezifisch ist - weniger Leistung erbringen soll. Aber das müssen viele Nicht-Behinderte erst ererfahren." Worte aus dem Mund eines Mannes, der es wissen muss: Wolfgang Reithofer ist Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Wienerberger AG - mit mehr als 11.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 1.600 Millionen Euro der größte Ziegelhersteller der Welt. Und Wolfgang Reithofer sitzt im Rollstuhl: Multiple Sklerose. "Ich würde mir wünschen, dass jeder so normal wie möglich damit umgeht. Es gibt keinen Grund, anders behandelt zu werden. Der eine hört schlecht, der andere sieht schlecht, ich kann halt nicht gehen", meint der Spitzenmanager im Furche-Gespräch.

Hilfe statt Betroffenheit

Im Büro der Wienerberger AG wurden kleinere Umbauarbeiten für ihn vorgenommen. Mitarbeiter und Kollegen waren anfangs verunsichert. Reithofer: "Wenn ich das erste Mal mit jemand Neuem zusammengetroffen bin, habe ich gespürt, dass er helfen will - aber nicht genau weiß, wie er das tun soll." Heute sei das alles längst kein Thema mehr: "Jeder weiß, wo ich ein Problem haben könnte und hilft mir automatisch dabei."

Von Berufs wegen ist Wolfgang Reithofer oft unterwegs. "Aber viel weniger als früher - das sieht jeder ein", fügt er lächelnd hinzu. Bei Verhandlungen mit nationalen und internationalen Partnern und Konkurrenten hat er bemerkt, dass man "weniger gefährlich wirkt, wenn man im Rollstuhl sitzt." Einem Rollstuhlfahrer unterstelle man selten böse Absichten, ist er überzeugt. Umso höher sei die Chance, rasch eine Vertrauensbasis herzustellen.

Ein Generaldirektor eines weltweit agierenden und erfolgreichen Konzerns im Rollstuhl ist sicher die Ausnahme. Denn um die Karrierechancen von Menschen mit Beeinträchtigung ist es - auch in Österreich - nicht besonders gut bestellt.

"Ich habe am Anfang inhaltlich doppelt so gut sein müssen", erzählt Annelise Burgstaller, Abteilungsleiterin des Beratungs- und Vermittlungsservice des AMS und seit vielen Jahren durch eine Muskelerkrankung an den Rollstuhl gefesselt. Das AMS bietet speziell für Menschen mit Beeinträchtigungen eigene Informationen über Berufs- und Ausbildungswege sowie eine persönliche Beratung mit einem maßgeschneiderten Betreuungsplan an. "Die Existenzsicherung durch eigene Arbeit ist ganz wichtig", weiß Annelise Burgstaller aus eigener Erfahrung. Und eine gute Ausbildung schütze am besten vor Arbeitslosigkeit.

In ihrem eigenen Werdegang hatte sie weder mit menschlichen noch inhaltlichen, sondern meist mit baulichen Hindernissen wie Stufen oder Schwellen zu kämpfen, erinnert sich Burgstaller. Diese Hürden gilt es ehestmöglich auszumerzen - ebenso wie jene im Kopf potenzieller Arbeitgeber: Umfassende Information und Sensibilisierung sei dazu unerlässlich, so Burgstaller.

Eine Forderung, die Erico Zeyen, Geschäftsführer des Berufsbildungs- und Forschungszentrums für Blinde, nur unterschreiben kann. Früher, erzählt er, war er in der Privatwirtschaft tätig. Sein Sehvermögen verschlechterte sich kontinuierlich. Heute ist er blind. Die Ausbildung war somit für ihn - wie für Generaldirektor Reithofer - kein Problem. Umso problematischer war die Umorientierung nach der eingetretenen körperlichen Beeinträchtigung. Im Bereich der Erwachsenenbildung und für Späterblindete gab es wenig Ausbildungsmöglichkeiten - bis vor einem Jahr. Im März 2002 hat das Berufsbildungs- und Forschungszentrum für Blinde (BBFZ) seinen Kursbetrieb aufgenommen. Finanziert wurde es aus der so genannten "Behindertenmilliarde", der Beschäftigungsoffensive der Österreichischen Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen.

"Wenn man sein Augenlicht verliert, fällt man in ein tiefes Loch", weiß Erico Zeyen. Deshalb bietet das BBFZ neben Ausbildungen und Schulungen auch psychotherapeutische Betreuung und Seminare für Kommunikation und Körpersprache an. "Vor allem EDV-unterstützte Arbeitsplätze sind für Blinde bewältigbar", weiß Zeyen. Die konkrete Jobvermittlung erfolgt meist über das AMS, wo man über die Qualifikationen von Blinden bestens Bescheid weiß.

Viele Arbeitgeber wissen freilich weder über diese Qualifikationen, noch über zusätzliche Hilfsmittel zur Beschäftigung behinderter Menschen Bescheid, die sie keinen Cent kosten. Denn die Kosten für die Arbeitsplatzausstattung werden von der Pensionsversicherungsanstalt übernommen, die sich aus dem so genannten Ausgleichsfond bedient, in den die Ausgleichstaxen jener Firmen fließen, welche die gesetzlich vorgeschriebene Quote von vier Prozent behinderten Mitarbeiten nicht erfüllen.

Auf eine höhere Sensibilisierung unter den Arbeitgebern hofft auch Katharina Strohmayer, interimistische Leiterin des Bundesinstituts für Gehörlosenbildung in Wien. 182 hörbeeinträchtigte Kinder werden dort von einer Frühförderung über die Mittelschule bis zum Polytechnikum betreut. Ein Schulversuch in einer integrativen Oberstufe läuft. Welche Berufs- und Karrieremöglichkeiten haben diese Kinder? "Sie sind absolute Augenmenschen, deshalb bietet sich der Bereich der Informatik an. Einige Kinder möchten Kassierin werden, aber einen Gehörlosen setzt man dort nicht hin", weiß Strohmayer. Die hörbeeinträchtigten Jugendlichen haben die Möglichkeit, sich für eine eigene Mode-, Tischler- und Malerfachausbildung zu entscheiden. Im Polytechnikum werden im Rahmen der Berufsbildung eigene Schnupperwochen in Betrieben angeboten. Strohmayer: "In Österreich gibt es 7.000 Gehörlose und rund 100.000 Gehörbeeinträchtigte. Viele davon sind arbeitslos."

Spezielle Menschen?

Einen Grund dafür sieht Katharina Strohmayer im erhöhten Kündigungsschutz, der die Arbeitgeber oft abschrecke. Eine Einschätzung, die auch Wolfgang Reithofer teilt: "Man sagt, dass die Behinderten einen speziellen Schutz brauchen und macht sie zu einer speziellen Gruppe von Menschen. Darin liegt aber sicher ein Problem." Er selbst habe das Glück gehabt, schon im Unternehmen beschäftigt und bekannt gewesen zu sein, als seine Behinderung langsam zu Tage trat. "Ich bin trotzdem in den Vorstand gekommen und zum Generaldirektor bestellt worden. Aber ich glaube nicht, dass es so leicht ist, wenn eine große Ausschreibung stattfindet und ein Bewerber im Rollstuhl hineinrollt."

Wichtig sei ein natürliches Miteinander - und die Erfahrung, "dass Behinderte ganz normale Menschen sind mit den gleichen Stärken und Schwächen wie alle anderen auch."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung