Kraken - © Rainer Messerklinger

Allesverkäufer Amazon

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Bücher, Lebensmittel, Medikamente - Amazon holt immer mehr Dienste und Produkte auf seine Plattform. Um als Unternehmen weniger Anlass zur Kritik zu geben, gibt es nun eine Apotheke mit sozialem Touch: Preisnachlässe für Nichtversicherte.

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Bücher, Lebensmittel, Medikamente - Amazon holt immer mehr Dienste und Produkte auf seine Plattform. Um als Unternehmen weniger Anlass zur Kritik zu geben, gibt es nun eine Apotheke mit sozialem Touch: Preisnachlässe für Nichtversicherte.

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Als Amazon 1994 noch ein kleines Start-up in einer Garage im Haus von Jeff Bezos war, bastelte der Unternehmer noch selbst an der Website. Das Internet war damals Neuland, und was da in einer umgebauten Heimwerkstatt in Bellevue, einem Vorort von Seattle, vor sich ging, interessierte so gut wie niemanden. Doch mit seiner Idee, Bücher im Netz zu vertreiben, sollte der studierte Elektrotechniker und Informatiker den Onlinehandel revolutionieren.

Während sich seine Frau um die Buchhaltung kümmerte, werkelte Bezos mit seinen Programmierern Shel Kaphan und Paul Davis an den Servern, die so viel Strom verbrauchten, dass im Haus immer wieder die Sicherungen durchbrannten. Die Start-up-Gründer, so erzählt es Brad Stone in seiner Bezos-Biografie „Der Allesverkäufer“, mussten Verlängerungskabel in andere Räume verlegen, damit die Server weiterlaufen konnten – was zur Folge hatte, dass man noch nicht einmal mehr einen Haartrockner oder Staubsauger einschalten konnte. Das junge Unternehmen verschlang alle Energie.

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Im Frühjahr 1995, als die Betawebsite von Amazon online ging, bezogen Bezos und seine Mitstreiter ein Büro im Industriegebiet von SoDo, in der Nähe von Downtown Seattle. Als Lagerhalle fungierte ein fensterloser Raum von knapp 20 Quadratmetern, wo einst Rockbands probten. Bis spät in die Nacht hinein verpackten Bezos und seine beiden Kollegen Bücher und brachten sie am nächsten Tag zu UPS und zur Post.

In 30 Jahren zum Imperium

Heute sortieren 250.000 Mitarbeiter und fast noch einmal so viele Roboter Pakete, die in hangargroßen Logistikzentren gelagert werden. Die Server, die diese algorithmengetriebene Maschinerie am Laufen halten, passen nicht mehr in eine Garage, sondern sind in riesigen Rechenzentren auf der ganzen Welt verteilt. Amazon verkauft heute nicht nur Bücher, sondern alles: Autoteile, Bekleidung, Drogerieartikel, Küchenzubehör, Spielzeug, Uhren. Der Konzern ist binnen drei Jahrzehnten zu einem weltumspannenden Imperium herangewachsen.

Das Unternehmen hatte zeitweise einen Börsenwert von über einer Billion Dollar, also 1000 Milliarden. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande beträgt rund 900 Milliarden Dollar. Die profitabelste Sparte ist mittlerweile das Cloud-Geschäft Amazon Web Services (AWS), zu dessen Kunden unter anderem auch der Streamingdienst Netflix gehört. Allein 2019 machte Amazon einen
Umsatz von 280 Milliarden Dollar. Durch die Corona-Pandemie konnte der Konzern seine Marktmacht weiter zementieren – die Gewinne haben sich im zweiten Quartal 2020 verdoppelt. Als im Lockdown der Einzelhandel geschlossen war, bestellte man bei Amazon: Atemschutzmasken, Kaffeemaschinen, Webcams. Der Onlinehandel ist der größte Profiteur der Krise.

So geht automatisierte Assistenz. Wenn Alexa hört, dass jemand hustet, bestellt sie Erkältungstee oder rezeptfreie Lutschpastillen aus der hauseigenen Apotheke.

Schon früh hatte Bezos die Idee, nicht nur Bücher über Kajaks zu verkaufen, sondern auch Kajaks, Abos für Kajakmagazine, Buchungen für Kajaktrips etc. Und das setzte er Schritt für Schritt um. 2010 kaufte Amazon für 540 Millionen Dollar den Windelversandhändler Quidsi und konnte fortan Babyartikel aus dem eigenen Sortiment anbieten. Die US-Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC) genehmigte den Deal zähneknirschend. „Bezos hatte einmal mehr gewonnen, einen weiteren Wettbewerber kaltgestellt und ein weiteres Regal seines Ladens für alles gefüllt“, schreibt Stone in seinem Buch.

Nach und nach holt Amazon Dienste und Produkte auf seine Plattform. 2017 übernahm der Onlinehändler für 13,4 Milliarden Dollar die Biosupermarktkette Whole Foods. Geschickt wurde das Lebensmittelgeschäft mit der eigenen Logistik verzahnt. In zahlreichen Städten auf der Welt können Amazon-Prime-Mitglieder frisches Gemüse oder Lebensmittel über den Lieferservice Amazon Fresh nach Hause bestellen – die quietschgrünen Busse und Tüten gehören in vielen Metropolen mittlerweile zum Stadtbild.

Und das Sortiment wächst weiter: Vor wenigen Wochen hat Amazon eine eigene Onlineapotheke eröffnet, wo Kunden Medikamente und Hygieneartikel bestellen und sich nach Hause liefern lassen können. Über ein Profil sollen Kunden Versicherungsinformationen und Onlinerezepte verwalten können. Prime-Mitglieder, die keine Krankenversicherung haben, erhalten auf Arzneimittel bis zu 80 Prozent Rabatt.

Selbstzustellung

Amazon stellt mittlerweile die Hälfte aller Pakete selbst zu. Zwar greift der Onlinehändler wie schon zu Anfangszeiten auf den Paketdienst UPS zurück. Doch der Konzern baut sein eigenes Logistiknetz immer weiter aus. So hat der Versandhändler seine „Prime Air“-Flotte auf 50 Flieger aufgestockt. 2021 sollen es 70 Frachtmaschinen sein. Künftig sollen Pakete auch per Drohne zugestellt werden – die US-Luftfahrtbehörde FAA hat im August dieses Jahres grünes Licht gegeben. Der Onlinehändler könnte ganz nebenbei zu einem eigenen Logistik- und Luftfahrtunternehmen avancieren.

Amazon hat 2014 ein Patent für ein Logistiksystem („Anticipatory Shipping“) angemeldet, bei dem Waren in solche Regionen verfrachtet werden, in denen eine hohe Nachfrage vermutet wird. Der Onlinehändler weiß anhand der Suchverläufe und der Kaufhistorie, welche Produkte die Kunden als Nächstes ordern werden – und kann entsprechend seine Warenlager auffüllen. Das Logistiksystem würde sogar so weit gehen, dass Waren auf einen Truck geladen und „spekulativ an eine physische Adresse geliefert werden“, ohne dass der Adressat auf den Bestellknopf gedrückt hat – oder vielleicht nur ein paar Minuten vorher.

Der Konzern sitzt auf einem riesigen Datenschatz: Der Onlinehändler weiß, wo man wohnt, was man sucht, was man wann kauft, was man liest (Kindle), welche Musik man hört, welche Filme und Serien man schaut (Prime-Video), was man die Sprachassistentin Alexa fragt. Durch die Zusammenführung dieser Daten lassen sich detaillierte Profile erstellen.

Präzise Verhaltensprognosen

Der Marketingprofessor Scott Galloway schreibt in seinem Buch „The Four: Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google“: „Amazon hat alle Puzzleteile für die Null-Klick-Bestellung beisammen: KI, Einkaufschronik, Warenlager im Umkreis von 30 Kilometern von 45 Prozent der US-Bevölkerung, Millionen Lagerhaltungsnummern, Stimmerkennung in den reichsten amerikanischen Haushalten (Alexa), den größten Cloud-/Big-Data-Service, 460 (und bald tausende) Ladengeschäfte sowie die Verbrauchermarke, die weltweit das größte Vertrauen genießt.“ Je mehr Daten der Konzern sammelt, desto besser können die Big-Data-Algorithmen Muster und Routinen der Kunden erkennen, und desto präziser können sie deren Konsumverhalten vorhersagen.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Sprachsteuerung Alexa. Die virtuelle Assistentin ist nicht nur mit dem Netzwerklautsprecher Echo, sondern auch einer Reihe weiterer Geräte kompatibel: Küchengeräte, Lichtschalter, Mähroboter, Rollläden etc. Auch für Autos gibt es Alexa als Assistenzsystem. Alexa, sag mir, ob es an der nächsten Raststätte Kaffee gibt! Die virtuelle Assistentin ist nicht nur eine Ratgeberin und Witzeerzählerin, sondern auch eine subtile Verkaufsberaterin, die fragt, ob man etwas kaufen will. Der Onlineriese hat eine Technologie patentieren lassen, die anhand der Stimme erkennen soll, ob jemand krank ist, und gleich das passende Medikament ordert. Wenn Alexa hört, dass jemand hustet, bestellt sie Erkältungstee oder rezeptfreie Lutschpastillen aus der hauseigenen Apotheke. Amazon ist auf dem besten Weg zum Allesverkäufer.

Der Autor ist freier Journalist.

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