Die Musikbranche stirbt Langsam

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Die Plattenindustrie hat die Internet-Revolution verschlafen. Ob sie die Kurve dennochkriegt, bleibt Zukunftsmusik. Andreas Bauer hat sich jetzt schon umgehört.

"Sony-BMG startet eigenen Download-Shop." Auf www.musicbox.de können sich Musikfreunde künftig Musik kostenpflichtig und ganz legal runterladen."

Diese Meldung, die vor einigen Wochen durch die Medien geisterte, ist für die mit sinkenden Umsätzen kämpfende Plattenindustrie symptomatisch: Was in Internetshops längst Realität ist, kommt für eine Plattenfirma schon einer "revolutionären" Entwicklung gleich.

Immerhin waren die großen Plattenfirmen mehr als zehn Jahre lang damit beschäftigt, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die von der neuen - zumeist illegalen - Möglichkeit des Internet, Musik downzuloaden, Gebrauch machten. Gleichzeitig fuhr die PC-Industrie enorme Gewinne mit dem legalen Verkauf von Musik über das Internet ein.

Anfang 2000, als der Computerhersteller Apple mit iTunes an den Start ging, wurde noch bezweifelt, dass irgendjemand für Musik aus dem Internet bezahlen werde. Der Zweifel verstummte, als die Server bei Apple wegen Überlastung zusammenbrachen. Heute ist Apple der größte Online-Anbieter für Musik sowie ein wichtiger Partner für Industrie und Handel.

Langsam begannen sich die Musikkonzerne an die Möglichkeit heranzutasten, den Verkauf ihrer Musik über das Internet, das bis dahin als Konkurrent aufgefasst wurde, in Erwägung zu ziehen. Dies scheint symptomatisch für eine Industrie, die seit Jahrzehnten den innovativen Entwicklungen hinterherhinkt.

Die letzte große Innovation der Musikindustrie fand Ende der 1980er statt: Die Compact Disc (CD). Zwar von den "Software-Kollegen" erfunden, wurde ihr kommerzielles Potenzial von den Musikmanagern erkannt.

Der Durchbruch der CD

Das neue Medium bot die Gelegenheit, Musik, die der Liebhaber als gute alte Langspielplatte bereits sein eigen nennen konnte, demselben Kunden noch einmal zu verkaufen. Ende der 1980er Jahre begannen nun die Plattenfirmen ihre Tresore zu räumen und die alten Analogbänder auf CDs zu überspielen - und die Fans kauften und kauften.

Mitte der 1990er folgte der nächste Schritt: Dieselben CDs wurden jetzt "remastered" (digital überarbeitet) - und ersetzten ihre Vorläufer als klangtechnisch verbesserte Versionen. Und wieder leerten sich die Regale in den Läden.

Um 2000 begannen die Musikkonzerne (insbesondere Sony und Universal) sogenannte "De-luxe-Versionen" zu veröffentlichen. Besonders beliebte Klassiker wurden meist als Doppel-CD wiederveröffentlicht; mit Out-takes, Demoaufnahmen, Livestücken usw.

Es ist somit nicht ungewöhnlich "Live in San Quentin" von Johnny Cash in drei verschiedenen Formaten im CD-Regal zu finden. "Thriller" von Michael Jackson gibt es bereits in der vierten CD-Version.

"Musik-Recycling"

Eine aktuelle Form kommerziellen Vertriebs ist die erweiterte Sammler-Edition, die etwa sechs Monate nach der Erstveröffentlichung erscheint. Pop-Gruppen wie Rosenstolz oder Tokio Hotel veröffentlichen grundsätzlich sechs Monate nach Erscheinen ihrer neuen Alben eine erweiterte Version mit zusätzlichen Titeln, Videos und ähnlichem Bonusmaterial. Quasi der "Directors cut" in der Musikindustrie, der zum erneuten Kauf desselben Produktes anregt.

Nie wurden aber so viele Platten wie zwischen den 80er- und 90er Jahren verkauft. Die Superstars waren damals noch bezahlbar, denn kein Michael Jackson und kein Bruce Springsteen erhielten jene Summen, die heute ein Robbie Williams für einen Plattenvertrag bekommt. Und das, obwohl die Erstgenannten im Vergleich zu Robbie ein Vielfaches an Platten verkauft haben und immer noch verkaufen.

Die astronomischen Summen, welche die heutigen Superstars verdienen, lassen sich durch den einfachen Plattenverkauf ohnehin nicht kompensieren, doch für eine Firma wie EMI ist es eine Imagefrage, Mr. Williams an sich zu binden; nur so rechnet sich dessen 120-Millionen-Euro-Vertrag unter Umständen doch noch. Eingespart wird hingegen bei der Förderung junger Künstler, für die es weder Geld noch Zeit gibt.

Bedingt durch den ausgeschöpften Verkauf älterer Platten und durch die zunehmende Konkurrenz des Internet hat sich mittlerweile eine gewisse Rückläufigkeit am CD-Markt entwickelt, während sich die Plattenindustrie im letzten Jahrzehnt eher auf das "Musik-Recycling" spezialisierte, anstatt gute Musiker zu fördern und zu veröffentlichen oder dem Kunden alternative Möglichkeiten des Erwerbs - also etwa einen legalen Verkauf von Musik über Internet - anzubieten.

Entwicklung verschlafen

Es ist kaum erklärbar, dass jene Firmen, welche über die Rechte der Musiktitel verfügen, eigentlich die letzten sind, die sich auf den Verkauf von Musik über das Internet eingelassen haben. Angesichts dieser Tatsachen mutet das Jammern der Musikindustrie über den Einbruch der Verkaufszahlen und die Zunahme der MP3-Herunterlader merkwürdig an.

Hätten die großen Musikkonzerne dasselbe Ausmaß ihrer Energie in die Entwicklung kundenfreundlicher Download-Möglichkeiten investiert wie in die strafrechtliche Verfolgung illegal downloadender Jugendlicher, so würde die Musiklandschaft heute anders aussehen.

Dabei gäbe es Auswege aus der Krise - auch wenn es dafür schon reichlich spät ist: Etwa durch den Ausbau des Internet als Vertriebsform oder durch die Produktaufwertung der CD, durch schönere Verpackung und diverse Beigaben. Schließlich wird ein schönes, handfestes Produkt dem immateriellen Download immer noch vorgezogen.

Zukunftsmusik

In Österreich setzen interessanterweise die kleinen Labels wie Hoanzl, Spv oder Edel-Records auf "toll" verpackte CDs, während die großen Firmen wie Sony-BMG, EMI, Universal und Warner immer noch die Plastikverpackungen und Pappenhüllen mit geringem ästhetischen Wert anbieten.

Die eigentliche Zukunft der Musikindustrie liegt aber in der Förderung von Musik und Musikern jenseits der Castingshows, was allerdings selten geschieht, da Förderung Zeit und Geld kostet. Trotzdem läge darin ein Weg aus der derzeitigen Krise.

Gute Musik wird immer ihren Weg zu den Hörern finden. Ob die großen Plattenfirmen hierbei in Zukunft eine Rolle spielen, kümmert die Kunden allerdings wenig.

Der Autor ist Publizist und Berater im Bereich Musik und Film. Zuvor war er in der Musik- und Filmindustrie tätig.

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