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Das Piratengeschäft

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Die Industrie der „heißen Scheiben“ wuchs sich im letzten Jahrzehnt vom 6000-Dollar-Geschäft zum Multi-Millionen-Dollar-Busineß aus. Viele befürchteten, die letzte Wirtschaftskrise werde das Geschäft mit den Schallplatten beeinträchtigen. Die Angst war verfrüht. Die Verkaufszahlen von 1975 sahen trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht nur in Europa günstig aus. Der Absatz von Langspielplatten konnte allein in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent gesteigert werden. In England und in den USA verzeichneten Plattenfirmen Steigerungsraten bis zu 20 Prozent. Und 1976 dürfte es einen neuen Boom geben.

Die Gründe für diese Hektik? Verantwortlich dafür sind vor allem die Eigenschaften des Hauptproduktes dieser Industrie, der Platte. Sie ist technisch leicht und kostensparend reproduzierbar und besitzt eine lange Lebensdauer. Ferner ist die Nachfrage derart groß, daß Platten in Massen abgesetzt werden können. Auflagen von 100.000 Stück sind bei Singles keine Seltenheit.

Daneben ist ausschlaggebend, daß internationale Firmen heute wesentlich ausgewählter produzieren als früher. Es gilt nicht mehr das Prinzip, möglichst viel zu produzieren, ein Treffer werde schon darunter sein — der Selektionsprozeß wurde vielmehr verstärkt.

Als die Firmen ohne diese Bremse arbeiteten, gab es einen hohen Anteil von Platten, die sich gerade noch absetzen ließen, also keinen Gewinn brachten. Hoch war auch der Prozentsatz der Platten, die vom Händler zurückgeschickt wurden (etwa 23 Prozent). Das gute Geschäft machten nur rund 10 Prozent aller produzierten Platten.

Wichtig ist auch, daß die Firmen in den letzten Jahren ihre Kontakte intensivierten. In den sechziger Jahren war es etwas Besonderes, wenn Platten einer englischen Band in Amerika veröffentlicht wurden. Heute ist es die Regel. Die Produkte bekannter Bands erscheinen nicht nur in England, Amerika oder Europa, sondern auch in Japan, Brasilien und Australien — in allen Ländern der „westlichen“ Welt.

Das wichtigste Losungswort für

den anhaltenden internationalen Erfolg der Rock-Stars heißt jedoch „Promotion“ — die versteckte und offene Stimulierung der Nachfrage des Verbrauchers. Sie wird heute wesentlich raffinierter, gezielter und intensiver praktiziert als vor einigen Jahren, mit Hilfe der verschiedensten Medien, Methoden und „Maschen“.

Als wichtige Promotion-Hilfen dienen die Diskotheken in den Zentren der Rock-Industrie, vor allem in London und New York. Geschäftsleute spezialisieren sich hier auf Kontakte mit Disc-Jockeys. Sie veranlassen, diese Platten gegen Bezahlung in ihren Lokalen zu „pushen“, zu deutsch: dem Publikum — in der Woche 700.00 Besucher — diese permanent vorzududeln und auf solche Weise die Nachfrage anzuheizen. Mehrere Soul-Platten wurden so in den letzten Jahren auf Erfolgskurs gebracht.

Wie die „Diskos“ stellen auch die Rundfunkstationen in den USA kommerzielle Unternehmen dar. Es ist also auch hier möglich, bestimmte Platten öfter als andere einsetzen zu lassen — gegen bare Münze, versteht sich. 50.000 Dollar soll die Soul-Company Gamble-Huff 1974 für das „Pushen“ ihrer Produkte an Disc-Jockeys, Musik- und Programmdirektoren bezahlt haben. Wollte die Firma bei einem großen New Yorker Negersender eine Platte als „Tip der Woche“ placieren, wurde das mit 500 Dollar verrechnet.

Die Manager lassen sich auch eini-ges^ einfallen, wenn es gut, das Interesse des Kunden für bestimmte“ Produkte zu wecken. Für Kampagnen dieser Art sind vor allem die größten Abteilungen in den Plattenfirmen verantwortlich, die „Marketing-Abteilungen“. Um von einem Produkt höchstmögliche Absatzzahlen zu erzielen, starten sie •sogenannte Promotion-Kampagnen. Mit Fensterstreifen, vierfarbigen Postern, Stickem, Blickfängen, Künstlerpostkarten. Als „Aktions-Vehikel“ bezeichnete die Pressestelle der Plattenfirma WEA ihre Kampagne für „Super-Soul“. Tausende von Fans brachten die Soul-Botschaft in Büros, Betriebe und Schulen: gestickt auf Jeans-Jacken, T-Shirts und Mützen.

Die Stars selbst schalten sich als internationale Promotion-„Vehikel“ ein — mit Pressekonferenzen, Senderreisen und „Disko“-Besuchen. Diese „Artist-Promotions“, der persönliche Kontakt zwischen Stars und Medien, wird von ausgebildeten Mitarbeitern vorbereitet. Für den Massenabsatz, für den anhaltenden Erfolg, sind solche Tourneen wichtig. Das gleiche gilt für die Konzerte der Musiker. Manager Chris Wright sagt dazu: „Life-Auftritte sind der Schlüssel zum Plattenverkauf.“ Ausschlaggebend ist, daß möglichst viele Leute die Stars tzu sehen bekommen. Nur deshalb gehen Gruppen und Interpreten häufig auf Tourneen (in der deutschen Bundesrepublik mehr als tausendmal) und nicht wegen ihrer außergewöhnlichen Spielfreude. Weil der Kuchen derart umfangreich ist (immerhin erzielte die Rock-Industrie 1975 einen Umsatz von zwei Milliarden D-Mark allein in den USA — bei weitem mehr als die ganze Film-, TV- und Sport-Branche — und der Profit trotz Krisenlage und höherer Herstellungspreise weiter steigt, scheuen sich manche Manager nicht, unlautere, ja kriminelle Tricks zu gebrauchen, um ihren Anteil zu behaupten. Gerichtsprozesse wegen Veruntreuungen, Übervorteilungen und Betrügereien — stets um hohe Streitwerte — sind keine Seltenheit.

Die Beatles klagten ihren Manager Alan Klein, weil er Millionenbeträge in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte, die eigentlich der Gruppe zustanden; die Pop-Gruppe „Mama's & Papa's“ forderte eine Nachzahlung von 20 Millionen Dollar an Honoraren von ihrer Plattenfirma „Dunhill“, die Gruppe „Satana“ klagte ihr Management wegen Betrugs und Unterschlagung von Millionenbeträgen auf Schadenersatz; die deutsche Band „Improved Sound Ltd.“ berichtete von betrügerischen Methoden, mit denen die Firma „United Artists“ die Gruppe an sich binden wollte. Diese Aufzählung ließe sich fortführen, denn, wie es der Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richard formulierte: „Dies ist wahrscheinlich das am wenigsten zivilisierte und am meisten von Piraten beherrschte aller Geschäfte.“

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