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GUSTAV UCICKY LICHT IST DIE SEELE DES FILMS

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Filmbesessenen, abgekämpft, verbraucht, ein wenig verbittert und mit der Laune des Ruhms hadernd: erst Herzschlag auf einer Luftreise, dann Gehirnschlag im Spital. Ganze 62 Jahre alt.

Mit G. W. Pabst, Willi Forst und Karl Hartl zählte Gustav Ucicky zu den Großen Vier des österreichischen Films, um die es in letzter Zeit still geworden ist. Ein Blick auf den dünn gesäten Nachwuchs, und wir ermessen, was der Tod eines einzigen von ihnen bedeutet.

Gustav Ucicky,, geboren am 7. Juli 1898, ist ein echtes Wiener Vorstadtkind, der Sohn einer einfachen, fleißigen Aufräumefrau, was zusammen mit seinem Vornamen zur unhaltbaren, aber weit verbreiteten Legende geführt haben mag, er sei der natürliche Sohn des berühmten Wiener Malers Gustav Klimt, bei dem seine Mutter beschäftigt war. 17fähig zieht es ihn zur Reklame. Schon 1916 ist er beim Film, später als Kameramann. Alles verdankt er seinem Grafen, Sascha Kolowrat, der in diesen Jahren wie ein Luchs nach Talenten aus ist. Und Ucicky gehört dazu, das sagt ihm sein untrügliches Auge. Sascha gibt dem jungen Kameramann und Regie- Assistenten eine weise Lehre mit: „Vergessen Sie nie: Licht ist das Wesentliche beim Film. Exponieren Sie immer eher zu viel als zu wenig. Licht ist die Seele des Films. Man kann nie genug von ihr haben …“ Sein ganzes Leben hat der Zauberlehrling die Lehre des Meisters geachtet. Ucicky zählt zu den letzten Regisseuren überhaupt, die als geborene und gelernte Kameraleute dem Bild, dem Symbol der Einstellung, dem Schnitt den Vorrang gaben, manchmal über Gebühr und auf Kosten des Gedanklichen (der eigentlichen „Seele des Films“!).

Als sein großer Freund und Förderer Sascha Kolowrat 1927 starb, hatte Ucicky — nach „Pratermitzi“ und „Tingeltangel — eben seinen dritten Regiefilm abgedreht, das erst nachmals durch das Darstellerdebüt Willy Forsts und Marlene Dietrichs berühmt gewordene „Cafi Electric“. Forst sollte in den nächsten Jahren die goldene Epoche des Wiener Films einleiten. Ucicky aber, sichtlich unter dem Eindruck des Todes Sascha Kolowrats, entweicht über München nach Berlin und wird dort in der silbernen Ära der UFA eine Art Trompeter von Babelsberg.

Seine Filme zwischen 1929 und 1938 werden vereinzelt zu den Vorreitern der deutschen Katastrophe mitgezählt, und einige mag das Schicksal entgegen der Absicht ihres Regisseurs wirklich dazu gemacht haben. Gekonnt waren sie alle, das beweisen die wichtigsten Titel: „Das Flötenkonzert von Sanscouci“, „Der unsterbliche Lump“, „Yorck“, „Der Mann ohne Namen“, „Morgenrot“, „Flüchtlinge“, „Der junge Baron Neuhaus“, ..Das Mädchen Johanna“, „Unter heißem Himmel“, ,,Savoy-Hotel 217“ und „Der zerbrochene Krug“.

Was er da gefehlt hat, hat ihn das Schicksal bald darauf sühnen und gutmachen lassen! In die Heimat findet Ucicky in ihrer bittersten Zeit, 1938 bis 1945. Und dort hat er sich dann als Regisseur großer unpolitischer Filme in der Wien-Film ein ähnliches Verdienst um jene so oft mißdeutete, letztlich so wertvolle ästhetische Resistance erworben wie Gründgens auf der deutschen Bühne. Seine Filme von damals, von „Frau Sixta“ über „Ein Leben lang“. „Späte Liebe“ und andere, bis zum Gipfel: „Der Postmeister“, sind Zeitdokumente, ln ihnen, nicht in den vorgenannten Filmen, der Babelsberger Ära. ist nicht nur der künstlerische Höhepunkt, sondern auch das gedankliche Herzstück und das Österreichische im Schaffen Ucickys zu suchen.

Über Ucickys Nachkriegsfilme, von „Cordula“ und „Der Seelenbräu“ bis zum „Erbe von Björndahl“, lag der feine Staub des Überlebten, Zurückgesetzten, Abgesetzten. Es gibt einige Gründe dafür. Letzten Endes aber bleibt es ein Geheimnis: dieses herrische, tragische Auf und Ab der Stile und Stoffe, Regisseure und Darsteller der Filmchronik.

„Macht doch den Fensterladen in der Stube auf, damit mehr Licht hereinkommt“, hat Goethe entgegen anderen Legenden am 22. März 1832, als letzte Worte gesprochen. Merkwürdiges Gegenspiel: An einem frühen Wintertag des Jahres 1927 sagt Österreichs Filmgraf Sascha Kolowrat zu seinem Freund und Mitarbeiter im Sanatorium Löw zu Wien, da sich schon die Schatten des Todes auf ihn senken: „Es wird so finster, -chließ doch die Läden nicht… Ich will Licht. Laß doch Licht herein, Gustl…“ — und stirbt.

Gustl war Gustav Ucicky. Er hat selber in diesen Tagen im Hamburger Krankenhaus die Augen geschlossen. Er starb den Tod der Mag es das unsanfte Gesetz des Films sein. Es soll uns nicht abhalten, neben den Mächtigen von heute schweigend an die Bahre der Könner von gestern zu treten Menschen und Epochen, alles Harte und Finstere, kann vergehen. Aber die Seele nicht, die Seele: das Ltcht des Films.

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