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ES WAR EIN GRAF ...

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Es WAR EIN GRAF, so geht die Mär.

Kaum jemals in diesem verwirrenden Jahrhundert haben sich Chronik und Legende eines Menschen noch einmal so liebenswürdig alt-' väterisch und zugleich so unerhört modern ausgedrückt víle in Herkunft, Umwelt, im persönlichen Stil und im Lebenswerk jenes Mannes, dem die Mitwelt seinerzeit eine unsichtbare andere Herrscherkrone verliehen hat, wie vordem nur dem Zauberer und Zigeuner vom Domayer, dem ungekrönten König von Oesterreich, wie Deczey einmal den Johann Strauß genannt hat, und dem die Nachwelt noch einen Kranz von unverwelkter enthusiastischer Liebe und Begeisterung flicht. ..

... dem Ahnherrn des aller Ehren vollen österreichischen Films und Begründer jener heimischen Produktion von Weltruf, die seinen Namen trägt; dem lachenden Sieger auf tausend waghalsigen Rennstrecken des Lebens; dem Globetrotter zu Land, zu Wasser und in der Luft; dem Aristokraten des Herzens und Demokraten einer säkularen, zukunftsträchtigen Tätigkeit; dem großen Kind, dem Sonntagskind, das einen einzigen großen Festtag des Lebens lebte und früh, sehr früh, zu früh in voller Manneskraft, Lebenslust und Schaffensfreude an einem Sonntag vor 30 Jahren grausam vom Tode gefällt worden ist...

... dem Grafen Sascha Kolowrat.

ES'IST NICHT KLAR, warum der österreichische Film bei seiner chronischen Drehbuchanämie noch nicht auf das Leben, Wirken und Sterben Sascha Kolowrats gekommen ist. Enthält dieses Leben — von der Wiege bis zum Grabe — nicht alles, was das Herz (des Filins) begehrt? Ist es nicht selber ein Film gewesen — ein guter noch dazu?

Drei Wappen — wo bleibt da „Sissy"? — prangen über der Pforte: der böhmische Uradel der Kolowrat-Krakowský (die Seitenlinie Lieb- steinsky erlosch 1861) des Vaters; der moderne Geldadel der amerikanischen Mutter, der Dollarprinzessin, der Zigarrenprinzessin Up- mann; und die geheimnisumspielte, bis 1316 zurückreichende Bojarenahnenreihe der litauisch - russisch - polnischen Troubetzkoys, der 22jährigen Gattin Saschas, Fürstin Sophia.

Drei nicht undramatische Vorfälle akzentuieren schon vor Saschas Geburt die „Story": des Vaters Mesalliance, sein handgreiflicher Temperamentsausbruch im österreichischen Abgeordnetenhaus und schließlich eine Ehrenaffäre um Saschas Mutter, die den Gatten, Graf Leopold, in den achtziger Jahren nach Amerika führt — ein listiger Schachzug des Schicksals, mit dem es das Weltbürgertum und das ewige Fernweh des Erstgeborenen, Sascha, anzukündigen scheint. Denn nicht auf den böhmischen Gütern Teinitzl, Bieschin, Groß- Meierhöfen, Pfraumberg oder Koschatek, nicht im Prager Palais am Obstmarkt 4, hinter dem Wenzelsplatz, oder im Wiener Rothschild-Palais in der Prinz-Eugen-Straße, nein, drüben in Glenridge (man liest bisweilen unrichtig: in New York) kommt am 29. Jänner 1886 der erste Sohn zur Welt: Alexander Joseph (der Name könnte aus Roths „Radetzkymarsch“ stammen). Linser Sascha.

UNSER SASCHA ist ein Ungebärdiger und schleicht und drückt sich mühsam durch drei Gymnasialstationen: Mies' bei Pilsen, Kalksburg und Wiener Theresianum. Mit Latein und Griechisch hapert’s bis zur Matura, aber dafür wird er schon ein paar Jahre später Tschechisch, Französisch, Englisch' und Spanisch Sprechen, in allen Ländern Europas und in Nordafrika gewesen sein, auf dem Motorrad und im Auto, im Flugzeug und Ballon zu Hause sein.

Und im Film. Ab 1909. Inspiriert in Paris vom sagenhaften Pathé. Wir können diese ersten, aber auch die späteren Filmstationen genau verfolgen, vom Waschtrog-„Kopierwerk“ in Meierhöfen über die drei Wiener Stätten’: Pappenheimgasse,. Engerthstraße und Biberstraße. Dann folgen die drei Grundsteinlegungen für die heutige Säscha: 13. März 1914 — Sascha-Filmfabrik; 4. April 1916 - Sascha- Meßter-Film Ges. m. b. H. (im gleichen Jahre Bauvollendung des Sieveringer Ateliers); und schließlich, 10. September 1918 — Fusion mit Philipp und Preßburger: Sascha AG. (Etappe 4 ist bekanntlich, von Sascha selbst nicht mehr erlebt, die Tobis-Sascha der dreißiger Jahre, Etappe 5 die heutige ehrwürdige und zugleich lebenskräftige Sascha-Film Gesellschaft.

„DER JUNGE MEDARDUS“, dem die Filmwissenschaftliche Gesellschaft und das Oester- reichische Filmarchiv am 2. Dezember im Rahmen einer Sascha-Kolowrat-Gedenkfeier eine glanzvolle Wiederaufführung widmete, datiert 1923. Vor ihm liegen — bis züm ersten Weltkrieg — Naturaufnahmen (sagte man damals) von Dalmatien, Kreuzenstein und Erzberg, ein geglückter Girardi-Film und drei verunglückte Pallenberg-Filme, Filme mit Eisenbach und Seff und Cokl, Reportagen und Kriegswochenschauen. Dann in jedem Jahr ‘fünf bis. zehn Filme, darunter in jedem Jahr ein Volltreffer: 1918: „Der Millionenonkel", 1919: „Die Dame mit dem schwarzen Handschuh“, 1920: „Prinz und Bettelknabe", 1921: „Cherchez la femme“, 1922: „Sodom und Gomorrha“'. — Nach „Medardus“: 1924: „Die Sklavenkönigin", 1925: „Die Rache des Pharao", 1926: „Die Pratermizzi“, 1927: „Café Electric" von Ucicky, mit Willi Forst und Marlene Dietrich.

„Er war kein Filmregisseur, kein Autor, er war ein Filmliebhaber“, sagt Ludwig Gesek in „Gestalten der Filmkunst“ in einem Essay über den „Mäzen und Enthusiasten“ Sascha Kolowrat. Aber darum ist er ein Filmpiönier: weil er anderen auf die Beine geholfen hat. Weil er sie entzündet und in Brand gesetzt hat. Und für die ältere Garde, die noch lebt, gibt es kein ehrenvolleres Bekenntnis als: Ich habe in Wien bei Sascha Kolowrat angefangen.

Und das sind gar nicht wenige und nicht die schlechtesten: Hubert und ;t Ernst Marischka, Gustav ..Ucicky, , Michael Kertesz, Alexander

Korda, Karl Hartl, Hans Theyer, Konrad Wiene, Willi Forst; Hilde von Radnay, Lucy Doraine, Maria Korda, Anna von Esterhazy, Ossi Os- walda, Lily Damita, Fern Andra, Anny Ondra, Magda Sonja, Marlene Dietrich. Das sind nicht alle. Um ihn kreisen auch früh schon damals Bekannte, wie Gisela Werbezirk, Franz Höbling, Fritz Kortner, Raoul Aslan, Leopold Kramer, Hätty1 Walden',' Mäx Devr'fetft; Gé0rgI''Řeiihéré, Fetdtnattd'1 'Gifno,’’'Karl Fatksft? ’ÖtisfäV' DiéfH,'

Hugo Thimig, Hans Moser, Paul Hartmann, Igo Sym, Dagny Servaes u. a.

IST DAS KEIN FILM? Welch ein Leben! Welch ein Mann! Was für eine Story! Wie sicher diese Persönlichkeit in zwei geistigen Räumen, in einer widerspruchsvollen Hebbel- schen Säkularwende ruht: der feudalen, kultivierten und genußfähigen, aber auch mäzenati- schen und leutseligen Welt jener erlauchten Grafen vom Schlage der Altham, Schönborn, Harrach, Traun, Hoyos, Herberstein, Kheven- hüller und Sternberg, die der Oesterreicher als seine Märchenprinzen liebt; mehr als die Durchlauchts, mehr noch als die von düstermelancholischen Legenden umwitterten Prinzen des Erzhauses! Wie sicher aber auch in der geistigen Welt der Demokratie und des Fortschrittes, die damals noch nicht diesen Namen geführt hat, aber in S.asclja Kolowrat al .elem n-. tare1. H üriiciie t .įęjięnsaųfle.Ųing .gärte , wjdt drängte: als Hang und Drang zu (damals noch „unadeliger“) Tätigkeit, als untrüglicher Spürsinn für das Trächtige, Kommende, Aussichtsreiche: Sport, Technik, Reiselust.

Und, ja natürlich: Film. Hätte er den Tonfilm, den Farbfilm, die Breitwand und den Raumton erlebt — wo wären wir heute in Oesterreich? Wir haben leider nicht den Titel „Sir“, mit dem der andere Alexander, der andere Eroberer, sein Schüler Korda, in England geehrt wurde. Wir müßten ihn sonst an Sascha Kolowrat noch heute, 30 Jahre nach seinem Tode, verleihen.

DEN ALTEN GRIECHEN GALT ES ALS HÖCHSTES, auf dem Gipfel des Lebens gefällt zu werden. Hier ist es: Im 42. Lebensjahre Saschas, in den wenigen Monaten vom Frühjahr bis zum Spätherbst 1927, geschieht das Unfaßbare. Dieses Blühen welkt und siecht, sichtbar, schauderbar für alle. Bauchspeicheldrüsenkrebs — was für ein abgrundhäßliches Wort. Seine 15 Konsonanten zischeln hämisch, hinterhältig, herzlos. Es klingt nach Schmerz, Abschied, Stehenlassen.

Aber was ist denn schon unvollendet? Was ist denn das Leben anderes als Sichgeben, Sich- verschwenden — anderen und sich selbst? Und was ist denn der Tod anderes als ein Fortwirken, ein milderes, sanfteres Strahlen dieser scharfen Helligkeit? Er kommt und geht, aber das Leben bleibt.

Sascha Kolowrat ist, lebt und wirkt noch unter uns.

DER TOD KAM AN EINEM GRAUEN WINTERTAG, am Sonntag, dem 4. Dezember 1927, um 18.20 Uhr.

Am 6. Dezember fand in der Schottenkirche zu Wien unter ungeheurer Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung die feierliche Einsegnung statt. Dann wurde der Sarg nach Teinitzl übergeführt und zu Mariä Empfängnis in der dortigen Familiengruft des Geschlechtes beigesetzt.

Sein Werk aber war nicht unvollendet. Vollendet ging es über Glanz und Gloria zwischen zwei Kriegen (über Maskeraden und Episoden), über Not und Tod eines düsteren Jahrzehntes zu neuen Ufern, mit seinem Namen, der nicht Schall und Rauch ist, auf uns.

Als Licht in der Trübnis.

Als hohes Erbe.

Und als Verpflichtung.

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