Lyrik aus dem maurischen Spanien: Kulturen einer Blütezeit
Europäische Geistesgeschichte, dem Vergessen entrissen: arabische und hebräische Lyrik aus dem maurischen Spanien ist nun auf Deutsch zu lesen.
Europäische Geistesgeschichte, dem Vergessen entrissen: arabische und hebräische Lyrik aus dem maurischen Spanien ist nun auf Deutsch zu lesen.
Würden Sie um 25 Euro nach Granada fahren, durch die Alhambra, das Wunderwerk des maurischen Rokoko, schlendern und sich in den Gärten betören lassen vom Rosenduft? Sie können das tun, indem Sie das Buch "Das Wunder von al-Andalus" erwerben. Das ist kein Bild-, sondern ein Gedichtband mit den schönsten Gedichten aus dem Maurischen Spanien. Die Wände der Alhambra beginnen in diesem Buch zu sprechen, denn sie sind über und über voll mit Gedichten.
Tausend Jahre Islam
Den Islam gab es auf der Iberischen Halbinsel fast ein Jahrtausend, von 711 bis 1614, als die letzten 300.000 "Moriscos" aus Spanien nach Marokko, Algerien und Tunesien ausgewiesen wurden. Doch die Reconquista, die Rückeroberung durch christliche Ritter, begann in großem Stil schon im 13. Jahrhundert. Cordoba, im Mittelalter die größte Stadt Europas, fiel 1236; Valencia 1238; Sevilla 1248; die letzte Hochburg, Granada, 1492. Danach wurden die Muslime zwangsbekehrt, aber auch die Konversion schützte sie nicht vor Vertreibung. Das Minarett von Sevilla ist heute der Glockenturm der Kathedrale; mitten in die Moschee von Cordoba haben die Christen unter Kaiser Karl V. eine Kirche hineingesetzt; die Alhambra in Granada verfiel: "Für alles kommt Verfall nach der Vollendung - / lass dich vom guten Leben, Mensch, nicht täuschen! / Die Unbeständigkeit hast du erfahren: / beglückt von einer Zeit, gekränkt von vielen. / Des Daseins Haus hat keinen je verschont, / und nichts wird in ihm bleiben wie es war. / Am Schluss zerfetzt die Zeit den Kettenpanzer, / auch wenn ihn Schwert und Lanze nicht bezwangen." So beginnt ein Gedicht von Al-Rundi, geboren in Ronda, gestorben 1285. Es hat ihn in der Arabisch sprechenden Welt unsterblich gemacht.
Der Zürcher Romanist Georg Bossong entreißt mit seinem Buch ein zentrales Kapitel der europäischen Geistesgeschichte dem Vergessen.
Wenig Übersetzungen
Während in Spanien, Großbritannien und Frankreich die reiche Blüte maurischer, also arabischer Dichtung, durch Übersetzungen lebendig gehalten wurde, sind im Deutschen nur zwei Übersetzernamen von Rang zu nennen: Freiherr von Schack im 19., Annemarie Schimmel im 20. Jahrhundert. Und jetzt Georg Bossong: In einer hervorragenden Einleitung beschreibt er die drei Ziele seiner Anthologie: "Zum einen will sie das Maurische Spanien als eine der großen Blütezeiten der europäischen Kultur sinnlich erfahrbar machen. Zum andern will sie, und dies ist eine völlige Neuheit gegenüber allen bisherigen Darstellungen, die arabische und die hebräische Lyrik, mitsamt dem gelegentlichen Aufblitzen der romanischen, in ihrer Einheit aufzeigen als unterschiedliche Ausprägungen einer gemeinsamen Kultur, in der beide (oder alle drei) verwurzelt sind. Schließlich will sie das bringen, was Sinn einer Blütenlese ist: Genuss im nachvollziehenden Anschauen von Schönheit."
Die Juden in Spanien verdankten den Arabern die Inspiration, ihre heilige Sprache für weltliche Dichtung einzusetzen. Eine hebräische Literatur gäbe es ohne das Maurische Spanien nicht, auch nicht die historisch einzigartige Wiederbelebung des altehrwürdigen Idioms der Bibel als primäre Muttersprache neuer Generationen.
Freuden des Weingenusses
Auch für die Araber ist die Goldene Zeit in Spanien in ihrer Dichtkunst noch fruchtbar: Viele Gedichte sind als Lieder bis heute volkstümlich geblieben und die klassische Musiktradition im Maghreb, also im Westen, wie auch im Orient, heißt bis heute "andalusisch". Themen waren die Schönheit der Jahreszeiten, die Schönheit der Liebe, auch der Gottesliebe (bis hin zu mystischen Erfahrungen), die Freuden des Weingenusses, das Herrscherlob und die Vergänglichkeit, der Tod.
Gespräche mit Geliebten
Auffallend viele Frauen dichteten im Zwiegespräch mit ihren Geliebten. Die formale Strenge verlangte ein sprachliches Tanzen mit Gewichten an den Füßen. Die einzigartig anspruchsvolle arabische Sprachkultur, die in ihrer Komplexität nur unserer westlichen Musikkultur vergleichbar ist, hat der Übersetzer nicht in jedem Detail nachzubilden versucht. So verzichtet er auf den Reim, nicht aber den Rhythmus dieser zeitlos schönen Gedichte. Ein Entdeckungswunder kann beginnen: "Stets lebe lernend oder wissend, / verachtenswert ist Ignoranz. / Entmutigung lass nie dich hindern, / die höchste Stufe anzustreben. / Des Feuers Anfang ist ein Funke, / und der Beginn der Schrift ein Punkt." (Ibn Khafadja, 1058-1139)
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