"Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident!"

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Vor 200 Jahren brachte das Weimarer "Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1817" Gedichte, "versammelt von Goethe": Seine Verehrung des Islam im "West-östlichen Divan" ging weit über die Orientmode seiner Zeit hinaus.

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Vor 200 Jahren brachte das Weimarer "Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1817" Gedichte, "versammelt von Goethe": Seine Verehrung des Islam im "West-östlichen Divan" ging weit über die Orientmode seiner Zeit hinaus.

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Hölderlins griechischer Freiheitstraum "Hyperion" hielt die Niederlage der osmanischen Flotte bei Tscheschme 1770 fest: Diese Meerespassage trennt die türkische Küste von der Insel Chios -gegenwärtig einer der vielen ,Hotspots' von Flucht, Elend und Not. Alle Zeitgenossen verfolgten Bonapartes Ägypten- und Orientfeldzug 1798/99 im Konflikt mit der britischen Seemacht. Der Reformversuch von Sultan Selim scheiterte -seit 1804 kamen die christlichen Völker der europäischen Türkei nicht mehr zur Ruhe.

Johann Wolfgang von Goethe interessierten Vuk Stefanovic Karadz ic´' Spracherneuerung und die alten Heldenlieder ebenso wie die "serbische Revolution" und die Erhebung der Griechen - Lord Byron als Vorbild des Euphorion, Sohn Fausts und Helenas.

"Mahomets Gesang"

"Nord und West und Süd zersplittern, / Throne bersten, Reiche zittern, / Flüchte du, im reinen Osten / Patriarchenluft zu kosten!" Der Impuls zu dieser "Hegire" - so nennt Goethe seine persönliche Hidschra nach dem Vorbild des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina -war historisch konkret. Wer waren die "Transoxanen", deren "Schall und Klang" als "Janitscharen Musik" im "Kriegesthunder" das stille Weimar erreichte?

Im Jänner 1814, nach der Völkerschlacht von Leipzig, erlebte der Geheime Rat einen "mahometanischen Gottesdienst" von Baschkiren, in der Aula des Weimarer Gymnasiums: "Suren des Koran würden hergemurmelt werden, wir haben der baschkirischen Andacht beigewohnt, ihren Mulla geschaut." Ihm verehrte Bogen und Pfeile der exotischen Reiter hing Goethe über dem Kamin auf. "Mehrere unserer religiosen Damen haben sich die Übersetzung des Koran von der Bibliothek erbeten." Goethe erinnerte sich seiner Jugend, als er eifrig die arabische Sprache studierte (1771/72) und mit dem Plan eines Dramas "Mahomet" umging. Ein Wechselgesang von Ali und Fatema, die Lieblingstochter des Propheten, ergeht sich in Naturmetaphern, die der Dichter zu "Mahomets Gesang" formte: "Felsenquell wie ein Sternenblick über Wolken" wird zum herrlichen Strom "im rollenden Triumphe", der "freudebrausend" ins Weltmeer mündet: Parabel der Überfülle von Al-Kautar der 108. Sure, die der Koranschüler als erste lernt -Gebet und Opfer im Islam und Paradiesverheißung.

Dieses Erweckungserlebnis erneuerte sich in der Begegnung mit den Forschungen und (korrekten, doch hölzernen) Übersetzungen des österreichischen Orientalisten Joseph Hammer (1774-1856, seit 1835 Freiherr von Hammer-Purgstall), der 15-jährig als "Sprachknabe" in die Wiener Akademie für orientalische Sprachen eintrat. 1790 war er Dolmetscher für die Verhandlung mit der türkischen Friedensdelegation, ein Jahrzehnt später war er auf dem Schiff von Sidney Smith, Napoleons Gegner in der Levante, 1802 Legationsrat in Istanbul, 1806 Generalkonsul in Jassy. Mit den seit 1809 erscheinenden "Fundgruben des Orients" wurde das Sprachgenie der Gründer der modernen Orientalistik und wegweisend für Goethe, dessen vollständige Divan-Sammlung 1819 mit einem reich verzierten Titelblatt in arabischer Zierschrift erschien: "Der östliche Divan des westlichen Verfassers."

Hafis, der persische Dichter des 14. Jahrhunderts, sein Name bedeutet Zeuge des Koran, ist das Leitbild: "Herrlich ist der Orient /Über's Mittelmeer gedrungen, / Nur wer Hafis liebt und kennt /Weiß was Calderon gesungen.""Unbegrenzt" wie der mystische Rundtanz der Derwische, von dem Goethe aus Reiseberichten wusste, ist seine Dichtung. "Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, / Anfang und Ende immerfort dasselbe." In den Musalla-Rosengärten von Schiras ist Hafis' Grab neben dem seines Zeitgenossen Saadi stets von vielen seine Gedichte lesenden und rezitierenden, meist jungen Leuten umgeben; Wellensittiche ziehen für die Besucher Liebesorakel mit Hafis-Versen.

Marianne -Goethes Suleika

Über den philologischen und historischen Impuls (das Buch Timur als verspätete Warnung an den in Russland 1812 scheiternden Napoleon!) ging die Begegnung mit Marianne Pirngruber/Jung hinaus -ein Theaterkind, nach eigener Angabe geboren in Linz am 20. November 1784. Der Vater Johann B. van Gangelt war Tanzmeister bei den oö. Ständen. Ihr Stiefvater, der Direktor einer wandernden Truppe, Joseph M. G. Jung und die Schauspielerin Elisabeth Pirngruber heirateten 1788 in St. Pölten. Mutter und Tochter kamen 1796 nach Frankfurt, wo Marianne das Publikum, namentlich Clemens Brentano, bezauberte. Der erfolgreiche Frankfurter Bankier Johann Jakob von Willemer (1760-1838), Mäzen, Philanthrop und (erfolgloser) Dichter, wurde auf das hochbegabte Mädchen aufmerksam, das er gemeinsam mit seinen Töchtern erster Ehe erzog und am 27. September 1814 heiratete.

Willemer kannte und verehrte Goethe seit seinem 17. Lebensjahr. Die Bekanntschaft erneuerte sich durch Goethes Reise an den Rhein in der Begegnung mit "Demoiselle Jung" an der Hoteltafel zu Wiesbaden am 4. August 1814. Die theatralische Sendung Wilhelm Meisters und die geheimnisvolle Gestalt Mignons traten dem verjüngten Geheimen Rat vor Augen. Besuche in der Frankfurter Gerbermühle des Ehepaars Willemer folgten, übrigens die Gegend "vor dem Tor" des Osterspaziergangs, heute vor der Skyline des modernen Frankfurt.

Im Folgejahr 1815 war Goethe vom 12. August bis 17. September hier in einem unvergesslichen Austausch von Gedanken und Gefühlen zu Gast. Im Juli 1816, nach dem Tod der Gattin Christiane am 6. Juni, wollte Goethe erneut an den heimatlichen Main reisen; ein Achsbruch des Wagens hielt ihn ab. Der begonnene poetische Austausch wurde in Briefen fortgesetzt. 14 Tage vor seinem Tod ordnete Goethe die Blätter Mariannes und sandte ihr diese "Zeugen allerschönster Zeit". Das Ergebnis dieser subtilen Erotik, die Wechselreden zwischen Hatem/Goethe und Suleika/Marianne wurden von Schubert, Schumann, Mendelssohn Bartholdy und den Meistern der Moderne vertont. Das Geheimnis des liebenden Einverständnisses wahrten die Partner, Marianne bis zu ihrem Tod 1860.

Goethe stellte das Geschenk dieser Liebe in den Horizont seiner naturwissenschaftlichen Welterfahrung -am schönsten im Symbol des Ginkgo Biloba-Blattes "von Osten" ("Ist es ein lebendig Wesen? / Das sich in sich selbst getrennt, / Sind es zwei? Die sich erlesen, / Daß man sie als eines kennt ") - und in seinen hohen Begriff des Islam, weit über die damals verbreitete Orientmode mit Moscheen und Minaretten in Gartenanlagen (z. B. Schwetzingen, Eisgrub) hinaus.

"Besserem Verständnis" hat Goethe dem Divan religions-und literaturgeschichtliche Notizen beigegeben, ausgehend von der hebräischen Bibel. Am "Buch aller Bücher" müssen wir uns "bibelfest

versuchen, uns daran verirren, aufklären und ausbilden". Der Koran, "streng, groß, furchtbar, stellenweis wahrhaft erhaben setzt in Erstaunen und nötigt am Ende Verehrung ab", in der "Erkenntnis und Verehrung des einzigen, ewigen und unsichtbaren Gottes. Mit einem Gedicht Nisamis (12. Jh.) wird ein Bogen zum "so liebevollen als geistreichen Propheten" Jesus geschlagen, angesichts des stinkenden Aases eines Hundes: "Er sprach aus gütiger Natur: / Die Zähne sind wie Perlen weiß."

Die Mystik des Dschelaleddin Rumi ist der Hintergrund des tiefsten Gedankens der Sammlung um die Weitergabe des Lebens durch alle liebenden Wesen: "Und so lang du das nicht hast, / Dieses: Stirb und werde! / Bist du nur ein trüber Gast /Auf der dunklen Erde."

Das Vermächtnis des Divan

Das Vermächtnis des Divan bleibt der "Talisman", strahlend vertont von Robert Schumann: "Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! / Nord- und südliches Gelände /Ruht im Frieden seiner Hände." Dieser ergänzte Koranvers (Sure 2,142) steht auf dem Titelblatt aller Bände der "Fundgruben des Orients". Wir dürfen, müssen ihn gegen Missverstehen und Missbrauch von Religion in Hass, Streit und Krieg beschützen und als Bejahung von Leben und Liebe, über konfessionelle Schranken hinweg, bekennen: "Wenn Islam Gott ergeben heißt, / Im Islam leben und sterben wir alle."

Im Jahr 2000, ich unternahm damals eine unvergessliche Reise durch den Iran, enthüllten der deutsche Bundespräsident Johannes Rau und sein iranischer Kollege Mohammad Ch-a tami (sein theologischer Titel lautet: Beweis des Islam und der Muslime) ein Hafis-Denkmal im Weimarer Beethoven-Park: Zwei ost-westlich orientierte Steinstühle -das verbindende Ich und Du im Gegenüber vermitteln von Chatami ausgewählte Verse.

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