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Botschaft des Orients

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Josef von Hammer-Purgstall (1774 bis 1856), der große österreichische Orientalist, ist durch den Schweizer Historiker Johannes von Müller zum „inneren Berufe“ der Geschichtsschreibung in einem Zeitpunkte erweckt worden, in dem das Verlangen nach Erkenntnis des Orients in seinen Mythen, seiner Dichtung und Geschichte allgemein War. Mit der durch die romantische Mythologie wie eine Offenbarung empfundenen Konzeption der Kulturabfolge: Orient — Okzident — Griechenland — Rom — abendländisches Mittelalter — verbindet sich in der Forscherpersönlichkeit Hammer-Purg-stalls der Zug einer weltweiten und weltoffenen, praktischen, historisch-politischen Geisteshaltung, für deren Wirksamkeit weder das Vorbild Johannes von Müllers noch die Kenntnis englischer Geschichtsschreiber, wie Hume, Robertson, Gibbon, als Erklärung allein genügen. Sie ist vielmehr zu suchen in dem eigenartigen Schicksal von Hammer-Purgstalls Werdegang, der den jungen Steiermärker als Zögling der theresianischen Orientalischen Akademie schon früh, erst als „Sprachknaben“, dann als Legationssekretär, hineinstellt in den diplomatischen Verkehr zweier Reiche und ihm so die einzigartige Möglichkeit, wenn auc^i nur für kurze Zeit, bot, das Ohr unmittelbar am Herzschlag jenes lebendigen Organismus zu halten, der ihm in seiner gesamten Ausdehnung und geistigen Ausstrahlung Gegenstand seiner wissenschaftlichen Forschung werden sollte — des osmanischen Reiches.

Hier, bei der Nuntiatur in Konstantinopel, Pera und Bujukdere, 1799 und 1802 bis 1804, während des ägyptischen Feldzuges der Engländer, 1800 bis 1802, an dem er als Sekretär des englischen Kommodore Sir Sidney Smith teilnimmt, sowie als Generalkonsul in Jassy in der Moldau, 1806 bis 1807, erwächst ihm in unmittelbarer Anschauung jene Überzeugung von dem unaufhaltsamen Untergang des osmanischen Reiches, die ihn später zu Metternich und seinen Ratgebern in Orientfragen so in Gegensatz brachte, daß seine Verwendung als Diplomat im orientalischen Ausland trotz wiederholter Bewerbung für den Kanzler nicht mehr in Frage kam. War ihm damit' auch eine Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis verschüttet, so mühte er sich — von seiner Stellung als Hofdolmetsch seit 1811 und Hof rat seit 1818 unerfüllt —, in einer zu seiner inneren Berufung passenden Beamtentätigkeit wenigstens den abgeleiteten Quellen für die Erkenntnis seines Forschungsgegenstandes nahe zu bleiben. Wenn ihm auch hier die äußere Krönung seines Bemühens, die Stellung des ersten Kustoden oder des Präfekten an der Hofbibliothek, versagt war, so trug es doch Frucht in sich. Die Rückgabe von mehreren hundert orientalischen Handschriften, die anläßlich der Besetzung Wiens durch die Franzosen, 1809, nach Paris gebracht worden waren, sowie die erste Bestandaufnahme der orientalischen Handschriften dankt die Hofbibliothek und also unsere Nationalbibliothek ihm. Gelegentlich einer Italienreise verzeichnet er von 27 Bibliotheken den Besitz an orientalischen Handschriften; er kennt alle das Verhältnis Österreichs zur Pforte betreffenden Aktenstücke von den Tagen Karls V. und Ferdinands I. bis zum Frieden von Sistowa, 1790, er hat als erster für die Geschichte des Orients die byzantinischen Geschichtsschreiber und die osmanischen Reichshistoriographen herangezogen und fruchtbar gemacht.

All das war aber in dem von Jugend auf immer universal auf das große Ganze gehenden Ringen nach östlicher Erkenntnis nur Vorbereitung. Teilergebnis und Nebenwerk zweier großer Aufgaben. Die eine setzt der Jüngling sich kühn selber, verbündet sich in ihr klassisch-romantisches Streben und bleibt ihr ein Leben lang treu:durch Erforschung, Vermittlung und Übersetzung der Poesie und des Schrifttums orientalischer Völker ihren Geist und ihr Wesen zu deuten, die Anteilnahme des Abendlandes daran zu erregen und ihr entgegenzukommen. Goethes „West-Östlicher Diwan“ ist die schönste Blüte und das dankbarste Zeugnis dieses Bemühens. Die andere wird ihm von dem älteren und reifen Gelehrten Johannes von Müller aufgegeben. Ein Mannesalter sollte vergehen, ehe Hammer-Purgstall sich dieser Aufgabe der Darstellung orientalischer Geschichte gewachsen fühlte, ehe in der Glut seines Forscherfanatismus das ein Leben lang zusammengetragrne Sach- und Fachwissen, die immer wieder am Objekt erfahrene und überprüfte Wissenschaftslehre, die in den besten Mannesjahren im Levantedienst erworbene, praktisch-politische Weisheit zusammenschmolz zu einer Botschaft des Orients von pragmatischer Bedeutung.

Der Forscher und sein Gegenstand, sie sind in Hammer-Purgstalls Wissenschaftsbild nicht auseinanderzudenken. Ist es in der Persönlichkeit die immer angestrebte Verklammerung des Erkennenden und Handelnden, die ihn vom romantisch-idealistischen Gelehrtentyp absetzt, so ist es in seiner Wissenschaftsauffassung der Wandel des geschichtlichen Gegenstandes, der ihn über die Romantik hinausführt. Seit Herders „Ältester Urkunde des Menschengeschlechtes“ sah romantische Mythologie im Orient das ruhende Leitbild des dämmernden Beginns der Urmenschheit, deren Seelenkraft, vom ersten Strahl des Schöpfungslichtes noch im Unbewußten getroffen, eben die Augen aufschlug. Dem Forscherblick Hammer-Purgstalls stellt sich der Orient als ein in sich gerundetes Ganzes, als ein abgeschlossenes erstarrtes Geschehen dar, dem keine Entwicklung mehr beschieden ist. Die Geschichte des Orients kann demnach pragmatisch-kritisch sein, das heißt die in ihr zu erschließende Gesetzmäßigkeit ist für den Historiker von beispielhafter Bedeutung. Aber nicht nur für diesen. Die Anschauung jeder pragmatischen Geschichtsschreibung geht weiter dahin, die erkannte Gesetzhaftigkeit praktisch wirksam werden zu lassen für alles noch fließende Geschehen der Gegenwart. Was im Orient im Gesetz des Ilsams erstarrt ist, kann in Europa, gewarnt durch das pragmatische Beispiel seines dort Geschichte gewordenen Fluchs oder Segens, in seinem Entwicklungsflusse noch gebändigt oder ermutigt werden.

Die Konstanz aller staatlichen Einrichtungen im Orient und die Kontinuität vieler dieser Einrichtungen bis in die jüngste europäische Vergangenheit nachzuweisen, versucht Hammer-Purgstall immer wieder. Wieder leuchtet im Kontinuitätsgedanken die alte romantische Vorstellung von der Kulturabfolge auf, wenn Hammer-Purgstall die ältesten orientalischen Staatseinrichtungen, so das Zeremoniell der Höfe, die Hierarchie der Reichsbehörden altpersischen Ursprungs und über Byzanz, Rom, das Reich des Mittelalters bis in die jüngsten Institutionen des napolenonischen Kaiserreiches wirksam sein läßt. In immer erneuter Besinnung wägt Hammer-Purgstall das Verhältnis der drei die Geschichte des Orients bestimmenden Völker, der Perser, Araber und Türken gegeneinander. Sie sind vom Schicksal ausersehen, ihrem Reiche politisch die weiteste Ausdehnung über drei Erdteile zu geben, deren Durchwirkung mit orientalischem Geiste mit dem Panzer realer Macht zu bekleiden. Ihr Los ist aber auch unabänderlich — auch das eine pragmatisch-historische Erkenntnis Hammer-Purgstalls — das Los aller Reiche, nämlich das des Zusammenbruchs. Ein Leben lang hat Hammer-Purgstall die Ursachen dieses Verfalls erst in nimmermüder eigener Beobachtung, dann an Quellen und Berichten studiert. Der Sorgfalt, mit der er sie am Ende seines Werkes verzeichnet, schaut stumm die Sorge um das abendländische Schicksal über die Schulter. Den letzten Grund für den Verfall des osmanischen Reiches erkennt Hammer-Purgstall in seiner Erstarrung, in jener orientalischen Stereotypie, die sich politisch zum Stillstand ausformt. Was erst Flügel zu allem Erreichbaren und Erstrebenswerten war, wird nun zur Fessel des eigensten Wesens: der Islam, die unduldsamste aller Religionen, wie Hammer-Purgstall sie nennt. Eroberung und Weltherrschaft sind ihr Daseinsrhythmus und Sinn, aus denen sich alle Regeln des Zusammenlebens mit den anderen Völkern ableiten. So ist etwa der Friedensbruch gegenüber den Ungläubigen rechtens im Islam vorgesehen, ebenso wie der Umstand, daß den Ungläubigen eigentlich niemals beständiger Friede, sondern nur Kapitulation gewährt werden kann. Ein wesentliches Mittel zum Verständnis auch andersgläubiger Völker mangelt den Vorderasiaten völlig: der Begriff der politischen Freiheit, der mit der eigenen auch die Freiheit der anderen Völker schätzen lehrt.

Soweit die von unserem Orientalisten erschlossene Gesetzhaftigkeit, die auch für alles noch dunkle Werden in Europa pragmatisch werden sollte. Letzte Gewähr freilich für diese Botschaft des Orients an Europa kam Hammer-Purgstall nicht aus seinem ordnenden, vergleichenden, sichtenden und kritischen Gelehrtenverstand. Sie strömte ihm vielmehr aus jenem romantischen Element seines historischen Grunagefühls, aus der Überzeugung, daß auch in der Geschichte Gott walte, und fand sich in diesem Glauben von der morgenländischen Geschichtsauffassung beglückend bestätigt:

„Aber nicht nur die Poesie, sondern auch die Geschichte führt zu Gott, indem durch sie die Pfade ewiger Vorsehung und Vergeltung aufgehellt werden; anderen mag sie als Lehrerin der Staatsklugheit, die in der Wüste dem Schilfrohre predigt, anderen als bloß Buchführerin mensdiheitentehrender Greuel erscheinen, dem Morgenländer ist sie die enthüllte Schrift der Tafel des Schicksals, deren Anfang und Ende in undurchdringliches Dunkel gehüllt, und auf der nur einzelne Züge dem Auge des Menschen lesbar; aber jeder dieser Züge verkündet laut die Wege ewiger Vorsehung und Vergeltung in den Schicksalen der Individuen, wie in denen der Völker, in denen der Herrscher, wie in denen der Reiche, und flößt die Bitte ein: daß uns Dein Reich zukomme! Nämlich das Reich der Vernunft und des Rechtes, der Wahrheit und Liebe.“

Als es, wie Hammer-Purgstall nach einem orientalischen Spruche sagt, Abend wurde und die Tage kamen, die ihm nicht gefielen, als er auf die Gräber vieler Freunde, seit 1844 auf das der Gattin Karoline von Henikstein, seit 1846 auf das des jüngsten Sohnes Max blicken konnte, als er, was an ihm lag, für das orientalische Studium getan wähnen konnte, mochten die Gedanken des Greises öfter als sonst bei seinem Grabmal auf dem Friedhof in Weidling weilen, das dort seit 1819, durch den Bildhauer Riesling aus Gföhler Marmor errichtet und versehen mit der erlesensten Spruchweisheit des Erdkreises aus den zehn Sprachen, die Hammer-Purgstall beherrschte, bereit stand. In solcher Nähe der Ewigkeit, zu der der große österreichische Orientalist und Historiker des Morgenlandes, dessen Wissen, Divination und Gelehrsamkeit soweit gespannt waren, daß ihm bis auf den heutigen Tag keine umfassende Gesamtwürdigung zuteil werden konnte, am 22. November 1856 einging, mag die letzte irdisch-menschliche Trennung des Orients und des Okzidents, die er sich ein Leben lang zu überbrücken bemüht hatte, vor seinem gesitigen Auge gefallen sein, mögen die Aufgipfelungen beider Kulturen sich seinem Seherblick in dem einen höchsten Menschentum verklärt haben, das dem wägenden Richterauge des Herrn eins und unteilbar ist, wie es der Lichtvers, die vierundzwanzigste Sure, mit dem Vers des Thrones die heiligste des Korans, ausspricht: „Gott ist das Licht des Himmels und der Erde, sein Gleichnis ist das Licht einer Lampe... ange7Ündet mit dem öle eines gesegneten Baumes, der kein östlicher und kein westlicher, dessen öl von selbst auch ohne Berührung des Feuers glänzt. Licht auf Licht. Gott leitet mit seinem Licht, wen er will. Er gibt den Menschen Gleichnisse bei Gottl Er ist über alle Dinge wissend!“

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