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Das Osterland und die Nachtigallenstadt

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Auf einem Relief der Marc-Aurel-Gedenk-saule in der Piazza Colonna zu Rom erhebt der Danubius sein bärtiges Haupt aus den Wellen und sieht den Kohorten nach, die gegen die Markomannen ziehen. Die Blickrichtung des Gottes bezeichnet den Schicksalsweg Österreichs.

Es gibt zwei Arten von Kolonisation. Die eine ist imperialistisch-militärisch, sie strebt nach neuen Herrschaftgebieten und neuem Siedlungraum für die überschüssige Volkskraft. Die zweite ist geistig-kultureller Art, sie sucht neue Zonen zur Durchdringung mit geistigen Ideen, den Austausch von Kultur- und materiellen Gütern, die fruchtbare Wechselbeziehung von Nehmen und Geben im Völkerleben. Solche Art von Kolonisation war die historische Aufgabe Österreichs, die West-Ost-Straße an der Donau ihr naturgegebener Weg. Als die Sachsenkaiser, die weifischen Herzoge und zuletzt die preußischen Könige Soldaten und Siedler über die Elbe, Oder und Weichsel schickten, da entsetzten sich, so berichtet unter andern auch Gustav Freytag in seinen „Ahnen“, die Auswanderer aus Franken und Thüringen über die unwirtlichen Gegenden, die eisigen Winde, die undurchdringlichen Urwälder, die grauen Dünen am Kurischen und Frischen Haff. Vor ihnen lag wie eine düstere Drohung das geheimnisvolle Steppenland, dessen Sandstürme und Völkerwellen immer wieder verschlangen, was jene mit Schwert und Pflug zu „erobern“ vermeint hatten.

Wir stehen heute wieder in einem neuen Akt dieser „Ostland“-Tragödie!

Die Kreuzfahrer, die im Mittelalter die Donau hinabzogen, deutsche, französische, englische und italienische Ritter, Kaufleute, Troubadours, Minnesänger, hatten kein schreckensvolles Barbarenland vor sich. Ihnen winkten die Fruchthügel des Südostens, die Türme des goldenen Byzanz, die Rosengärten und Säulenhallen, die Speze-reien und uralten Weistümer des Orients, die Stätten, an denen der Heiland für alle Menschen gelebt und gelitten hatte, wo die Christenheit ihren Ausgang genommen hatte. War der Weg auch mühsam und oft blutig, er führte zu dem großartigen Austausch östlicher und westlicher Weltkultur und er führte durch Österreich.

Seitdem in den Urkunden des Jahres 996 zum erstenmal das Wort Ostarrichi —

Österreich auftaucht, wird der Name in der Folge immer wieder schmeichlerisch zärtlich in Osterland abgewandelt.

Er klingt wieder in der Strophe des Nibelungenliedes:

Ein Wirt saß an der Straße, Astolt war der genannt, Der wies den Herren die Wege In das Osterland. Gegen Tulln und Mautern, Längs der Donau hin, Da diente man gar eifrig der schönen

Königin.

Reimar und Neithart, die Minnesänger, und die Chronisten des 13. und 14. Jahrhunderts priesen das Osterland: Land des Frühlings und der Verheißung, durch das man zu dem Orte der Auferstehung des Herrn pilgert, Land der grünen Berge, der Obst- und Weingelände, mit aufblühenden Städten, mit trefflichen Musikern, guten Herbergen und schönen Frauen, voll Sonne und Frohsinn. „Osterland bist du geheißen und aus Osten kommt das Licht!“

In dem von Natur und Geschichte gleichermaßen ausgezeichneten Lande wuchs bald auch ein österreichisches Selbstgefühl, das den Nachfahren zu Zeiten abhanden kam. „Das war ein rechter Ostermann“, so lautet das höchste Lob, das der niederösterreichische Ritter und Dichter Seifried H e 1 b i n g — er lebte am Ausgang des 13. Jahrhunderts — einem richtigen Wiener und Österreicher zu erteilen hat. Ein solcher „rechter Ostermann“ ist Herzog Leopold der Glorreiche, den die Wiener Bürger zu Weihnachten 1227 mit weißen Kuchen und Kipfeln beschenken; aber noch manch anderem Wiener Bürger wird dieser Ehrentitel gespendet. „Biederbe und voll maze, klug und guoten muotes“ ist der rechte Ostermann, also „gütig, maßvoll, kluganschmiegsam und humorvoll“ tritt uns diese erste liebenswerte Verkörperung des so viel umstrittenen österreichischen Menschen entgegen, eine Mahnung an die Epigonen mit ihrer Selbsterniedrigung und Unterschätzung eigener Werte.

Auch die Hauptstadt des OsterlandeS fügte sich in dieses helle, frühlingsmäßige Bild ein.

Die Wiener Musikalität ist wie so manche andere Wiener Anlage durch Natur und Umwelt bedingt — so wie in den Melodien der großen Musiker Haydn, Schubert, des

Walzerkomgs Strauß effe Tonfblge 'des Vogelliedes wiederkehrt. Von altersher wird .Wien als die Stadt des Vogelgesanges und der Vogelpflege gerühmt. Der italienische Humanist Aeneas Sylvius Piccolomini, später Papst Pius II., gab um das Jahr 1450 eine anmutige Beschreibung des Wiener Lebens: „Die Bürgerhäuser sind gut gebaut, hoch, geräumig, verziert, mit weiten Höfen, Glasfenstern, reichem Hausrat und Vogelkäfigen — ,Cantu lusciniarum' —, Nachtigallengesang durchtönt im Frühling die Stadt...“ Auch ein anderer Gelehrter geistlichen Standes, der Benediktinerpater Anselm D e s i n g, Professor an der Universität Salzburg, ist mehr als 200 Jahre später in seiner „Schilderung der kayser-lichen Residentzstadt Wienn“ von den Wiener Nachtigallen entzückt: ,„.. Der in vielen Armen gehende Donaustrom und dazwischen liegend mit viel tausend Nachtigallen spielende Auen, die Wein-Gebürg und Getraidfelder machen einen unvergleichlichen Anblick ...“ Auch eine vornehme Engländerin, die Lady Mary Mon-tague, die um 1716 nach Wien kam, lobt in einem Brief an den Dichter Pope den Gartenpalast des Grafen Schönborn mit den vielen singenden Nachtigallen.

Am lieblichsten aber tönt der ganze Wienerwaldzauber aus der Volksweise des 16. Jahrhunderts:

& steift efn Stach m österrefcK,

die ist gar wohl gezieret, Mit mannigfachen Blümlein blau,

mit Marmelstein gemüret (gemauert), Darum so liegt ein grüner Wald,

ein grüner Wald darinne, Darinnen singt Frau Nachtigall

von unser beider Minne.

Wiener Rundfunkhörer erinnern sich vielleicht noch an eine Sendung des Radio-Wien im Frühling 1937, in der mit einer sehr mühevollen Aufnahme der Nachtigallengesang aus dem Laxenburger Schloßpark wiedergegeben wurde, ein wundervolles Naturkonzert schluchzender, flötender, jubilierender Stimmen von urtümlicher Süße. Zum letzten Male erschien Wien als „Nachtigallenstadt“ vor einer unseligen Welt, in der bald der Kanonendonner und das Zischen der Bomben Gottes Lob im Vogellied erstickte.

Uber Österreich und Wien sind im Lauf einer tausendjährigen Geschichte zahllose Katastrophen hinweggegangen. Feindliche Einfälle, Bürgerkrieg, Pest und Feuersbrunst, Senger und Brenner verwüsteten Stadt und Land, Kipper und Wipper ruinierten Handel und Währung. Aber über alle Nöte triumphierte der unsterbliche, auf ihre schicksalhafte Sendung vertrauende Lebenswille des Osterlandes, des Ostermannes, der Nachtigallenstadt.

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