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Eine Handvoll Menschen in einer Zeitenwende

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„Die Quelle fließt und verbirgt sich der Geliebten gleich: furchtsam verbirgt sie die Tränen, sich nicht zu verraten.”

(Maurische Verszeile, eingraviert im Bassin des LöwenKofes der Alhambra in GranadaJ

Wer vom Burgberg der Mauren, von den Fenstern des „roten Schlosses” über das Tal des Rio Darro auf die Stadt Granada blickt, steht dort, wo sich Abend- und Morgenland berühren; an jeher Nahtstelle der Geschichte, an der sich wie nirgendwo sonst Orient und Okzident gleichsam vermählten. Weiblich, formenreich und verspielt weisen sich bis heute lieh, abweisend, streng sind die Zeugen des Christentums, der kastili- schen Helden, der iberischen Welt, des abendländischen Europa.

1492 fällt Granada in die Hand der Christen; es ist jenes Jahr, in dem Columbus nach Amerika segelt; das Jahr, das die Neuzeit vom Mittel- alter trennt. Nach jahrhundertelangem Kampf ist der Traum des Cid erfüllt: die Reconquista wird von der Conquista abgelöst. Spanien tritt als Weltmacht in die Geschichte ein.

Jose Moreno Carbonero, ein Hauptvertreter des spanischen „leuchtenden Realismus” schildert uns die Übergabe von Granada als triumphales Kolossalgemälde: da bringt, zwischen Demut und Zurückhaltung schwankend, der letzte Verteidiger der Alhambra die Schlüssel. Vor ihm die katholischen Könige: Isabella von Kastilien auf dem Schimmel, Ferdinand von Aragonien ganz in Rot, das Kreuz hinter dem königlichen Paar, den Einigem Spaniens. Der Sieg ist erfochten, die Welt mag vor diesem neuen Reich erzittern. Spanien ist auf dem Weg

Isabella und Ferdinand machten die Stätte ihres größten Triumphes zum machtvollen Zeugnis des Sieges. Hier wollten sie auch begraben sein: nicht in den vielen großartigen Domen, die sie erbauen ließen, nicht dort, wo eine phantastisch-bizarre Gotik den Namen Isabellas arroni- dierte, nicht etwa in Salamanca, wo die Porträts der Könige die Stätte des neuen Geistes, die Universität krönen, nicht in Toledo, wo die katholischen Könige Kirche und Kloster San Juan de los Reyes zuerst als Begräbnisstätte erwählt hatten und auch diesen Ort in jenes irreale Licht des Ąbsurden tauchten; nicht in Sevilla, der größten Kathedrale Spaniens, in der das (allerdings leere) Grabmahl des Columbus den Sieg über den Atlantik bewahrt.

Nein, in Granada sollte der Nachwelt vom Aufbruch einer Handvoll Menschen in einer nie wieder so einschneidenden Zeitenwende Bericht gegeben werden: und gleichsam zum Symbol vereinigt sich in der Kathedrale am Fuße der Alhambra ein gotisches Äußeres mit der schönsten Renaissance Spaniens im Inneren. Hier sollte das Pantheon des neuen Spanien liegen, in der Capilla Real sollten die Schöpfer eines Weltreiches begraben liegen.

Als Isabella 1504 stirbt, weiß sie das spanische Erbe in neuen Händen. Seit acht Jahren ist ihre und Ferdinands Tochter Johanna mit dem mächtigsten Prinzen Europas verheiratet: mit Philipp von Habsburg, dem Sohn Kaiser Maximilians aus der Liebesehe mit Maria, der Erbin Burgunds. Mit Philipp beginnt Habsburgs Herrschaft in Spanien; der Schwiegersohn der katholischen Könige soll drei Reiche erben und von - Siebenbürgen bis zum Atlantik herrschen. Aber das Schicksal will es anders.

Philipp stirbt nur zwei Jahre nach der katholischen Isabella — wie Historiker sagen, nach einer hitzigen und unmäßigen Jagd; weil ihn seine, schon geistig umnachtete Frau voll Lebensglut zu Tode liebte, wie galante Geschichtenschreiber behaupten; weil ihn sein Schwiegervater Ferdinand durch Gift beseitigen wollte — wie dedektivische Romanciers behaupten. ‘Jedenfalls: Philipps Tod macht den Weg frei zum Thron für den jungen Karl, der nun all das erben soll, was seinem Vater bestimmt war. Als Karl V. ist er der größte Renaissaceherrscher Europas, der Habsburger, in dessen Reich die Sonne nicht untergeht.

Und er vollendet in Granda das Werk seiner Eltern und Großeltern. Er läßt in der Kathedrale das Pantheon für seine Familie, der mächtigsten Familie seiner Zeit, als einen Ort der Ruhe von den Stürmen der Welt bauen; und er selbst baut mitten in die maurische Alhambra einen Palast, dessen Schlichtheit bewußter Kontrast zur arabischen Phantasie ist.

Wer hier steht, mag das Schaudern empfinden, das historische Orte nur selten so unmittelbar vermitteln können: hier steht für Habsburgs Weltmacht der Schlüssel — ein Sarg mit dem lebenslustigen Philipp, dem Schönsten seiner Zeit; hier liegen die Einiger Spaniens; Isabella, jene Frau, die Columbus gegen Rat, und Intrige den Auftrag zur Entdeckung Amerikas gab; hier kniete Karl, der Frankreichs König gefangennahm und Rom plündern ließ; der die Schätze der Inkas und Azteken als geraubte Beute an seiner Tafel bewundern ließ; der Luther hörte und Tizian Modell saß …

Und der sein Leben, ohne Pracht und Kronen, in einem Kloster beschloß. Begraben mit den Mönchen, von den Mönchen. Er hat Granada nicht mehr gesehen.

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