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Gottes Geist und „große Hanseln"

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„Große Hanseln verstehen das Wort Gottes nicht." Diesen bemerkenswerten Satz hat Martin Luther einmal in einem Tischgespräch gesagt. Die „großen Hanseln" - das ist eine abfällige Bezeichnung für die Mächtigen und die Gebildeten. Die „großen Hanseln" - das sind die Neunmalgescheiten, die Supereierköpfe. Luther wörtlich: „Die Obergescheiten und großen Hanseln in der Welt verstehen das Wort Gottes nicht, sondern die Geringen und Einfältigen.

Das bezeugt auch der Herr Christus bei Matthäus, wenn er sagt: Ich danke dir, himmlischer Vater, daß du solches den Weisen der Welt verborgen und den Unmündigen und Säuglingen geoffenbart hast."

Über solche Sätze haben sich die „großen Hanseln" unter Luthers Zeitgenossen sicher nicht gefreut - aber das war Luther natürlich egal. Denn, was Luther sagt, hat er bei „seinem geliebten Heiland Jesus Christus" gelernt. Und Jesus hatte wohl eher Sympathie für die „kleinen Hanseln". Seine Jüngerschar beweist es, ehemalige Fischer, Zöllner, Handwerker, Frauen.

Paulus war sozusagen der erste christliche Akademiker. Es läßt sich streiten, wer Jesus besser verstanden hat: der „Akademiker" oder der Fischer, der „große Hansel" Paulus oder der „kleine Hansel" Petrus.

Seltsamer Gott, der den „Weisen" etwas verbirgt, der den heiligen Geist auch unhierarchisch dosiert. Luther hat von seinem Heiland gelernt, daß Gott das absichtlich so gemacht hat, daß die Mächtigen und Gebildeten oft sein Wort nicht verstehen und die gewöhnlichen Leute schon.

Und warum? Damit die „großen Hanseln" endlich begreifen, daß es ihnen gar nichts nützt, wenn sie die „Gescheitheit und Frömmigkeit mit dem Löffel gefressen haben!" Gott will, scheint's, daß die „großen Hanseln" auf die „kleinen Hanseln" angewiesen sind: daß die Fachleute auf die „Unmündigen" hören.

Oder ä la Luther gesagt: daß die ewig „Goscherten" endlich auf die hören, die sich nie trauen, den Mund aufzumachen. Diese Erkenntnis war zu Luthers Zeiten kirchenpolitisch heiß, und daran hat sich bis heute nichts geändert!

Bei der Auslegung der heiligen Schrift wird bis heute gern übersehen, wie sehr in diesen Worten, auch den Jesusworten, ein bestimmtes Verhalten, ja eine bestimmte Kirchenpolitik impliziert wird. Wenn Luther seinen Jesus richtig verstanden hat, dann sind auch der Papst, die Bischöfe, die Superintendenten und Landessuperintendenten „große Hanseln", denen Gott vieles verborgen hat.

Aber wann werden die „großen Hanseln" in der Kirche endlich begreifen, daß sie ohne die Hilfe der „kleinen Hanseln", der „Laien", Gottes Wort gar nicht verstehen können?

Oder wird der heilige Geist vielleicht auch einmal in einen großen Hansel fahren?

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