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Immer auf der Suche bleiben

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Dem Autor bereitet es Unbehagen, daß häufig von Gott so geredet wird, als kenne der Sprecher Gott ganz genau, als wisse er im Detail, wie Gott ist und was er vom Menschen will.

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Dem Autor bereitet es Unbehagen, daß häufig von Gott so geredet wird, als kenne der Sprecher Gott ganz genau, als wisse er im Detail, wie Gott ist und was er vom Menschen will.

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Ein Volk auf "der Suche nach Glauben - unter dieser Schlagzeile wurde neulich über eine Untersuchung berichtet, die der Wiener Soziologe Leopold Rosenmayr nach dem Katholikentag unter österreichischen Katholiken durchgeführt hat. Ein gläubiges Volk wohne zwischen Neusiedler See und Bodensee: 79 Prozent bezeichneten sich selbst als gläubig. Das gehe quer durch alle Altersschichten und habe of f ensichtlich nicht viel mit Kirchgangdisziplin zu tun. Obwohl viele, wie es hier heißt, keine Lebenshilfe mehr in den Kirchennormen finden können, gehe doch die Suche und Frage nach Gott weiter.

Fragen der Glaubensverkündigung und des Sprechens über Gott waren auch Thema der diesjährigen österreichischen Pastoraltagung in Wien-Lainz. Ich war sehr froh, daß ein Hauptreferent, der ungarische Erzabt Andreas Szen-nay, gleich am ersten Tag die Frage stellte: Verkünden wir den „wahren" Gott? Und daß er betonte, wir seien in unserer Predigt stärker, wenn wir uns als Wartende (Suchende) zeigten und weniger als Besitzende.

Gott bleibt für uns immer ein völlig undurchdringliches Geheimnis. Er wohnt nach der Heiligen Schrift in unzugänglichem Licht. Freilich haben wir Christen durch Jesus einen einmaligen Zugang zu diesem Geheimnis. Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Er kann von sich sagen: Wer mich sieht, sieht den Vater. Durch Jesus wird uns auch die gläubige Gewißheit, daß Gott das Geheimnis der unendlichen Liebe ist. Doch das Geheimnis bleibt. Wieso spürt man das so selten in der Verkündigung? Ulrich Zwin-gli, dessen 500. Geburtstag heuer gefeiert wird, sagt: „Was Gott an und für sich ist, wissen wir so wenig, als ein Käfer weiß, was ein Mensch ist". Und der hl. Augustinus meint: „Besser kennt Gott, wer ihn nicht zu kennen bekennt."

Von Gott muß daher mit größter Behutsamkeit und Ehrfurcht gesprochen werden, wenn man Menschen zum wahren Glauben bewegen will. Das altjüdische Gebot, den Namen Gottes gar nicht in den Mund zu nehmen, um ihn nur ja nicht zu verunehren, sollte uns wieder etwas nachdenklicher machen. Wortreiche pastorale Betulichkeit stößt die meisten eher ab.

Dieselbe Zurückhaltung und Behutsamkeit ist auch am Platz, wenn es darum geht, Gottes Willen zu interpretieren. Gewiß kann die Bibel, besonders das Wort Jesu, über weite Strecken des Lebens sichere Wegweisung schenken. Aber gerade auf viele komplizierte Fragen heutiger Existenz findet sich in der Heiligen Schrift keine direkte Antwort.

Dieser Umstand entbindet gewiß nicht von der Verpflichtung, all die brennenden Probleme, angefangen von den Gefahren eines Atomkrieges über die Umweltverschmutzung bis hin etwa zur Gestaltung zwischenmenschlicher Intimbeziehungen im Geiste des Evangeliums durchzudenken und Lösungen zu suchen, von denen man annehmen darf, sie entsprächen am besten den Intentionen Jesu. Nur wird sich in vielen Einzelheiten kein Standpunkt finden lassen, von dem man mit letzter Sicherheit sagen könnte, er allein und kein anderer entspräche Gottes Willen. Zu großer Behutsamkeit müßte da schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte anleiten. Es hilft keine noch so kunstvolle Interpretationsakrobatik: Allzu viele Irrwege wurden im Laufe der Jahrhunderte schon als Gottes Wille propagiert.

In vielen schwierigen Fragen kann die Wahrheit nur demütig gesucht werden. Das Hinhören auf den gläubigen Sinn des Volkes dürfte dabei als theologische Erkenntnisquelle nicht vernachlässigt werden. Dann würden wohl nicht so viele, wie die eingangs zitierte Untersuchung berichtet, die Lebensfremdheit der Kirche bedauern und von unlebbaren Normen sprechen.

In Bertolt Brechts „Geschichten vom Herrn Keuner" findet sich folgende Glosse:

„Ich habe bemerkt", sagte Herr K., „daß wir viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, daß wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?"

Gerade in einer Zeit, da viele, besonders jüngere Menschen, in Daseinsangst verfallen, weil sie mit wesentlichen Sinnfragen nicht zurechtkommen, wird man als Glaubender voll Freude auf die Fülle von befreienden Antworten hinweisen, die das Christentum dem Suchenden zu bieten hat. Ein Minimalismus der Verkündigung wäre falsch am Platze. Trotzdem würde ich Bertolt Brechts Worte gerne vielen Verkündigern ins Stammbuch schreiben.

Der Autor ist Dechant in Wien.

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