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Poesie und Agit-Prop
„Der Aufstand“ und „Befristeter Aufenthalt“:.Der ORF versucht mit zwei Filmen, die Stimmung in Österreich rund um den Ungarn-Aufstand aufzuarbeiten - und damit ein Stück Zeitgeschichte. Mit begrenztem Erfolg.
„Der Aufstand“ und „Befristeter Aufenthalt“:.Der ORF versucht mit zwei Filmen, die Stimmung in Österreich rund um den Ungarn-Aufstand aufzuarbeiten - und damit ein Stück Zeitgeschichte. Mit begrenztem Erfolg.
Die Szene ist makaber genug. Im Wiener Volksgarten werden russische Soldatengräber aufgegraben. Totenschädel kommen genauso zum Vorschein wie das „gesunde“ Volksempfinden: „Den russischen Heldenfriedhof wol-len's endlich beseitigen, diesen Schandfleck da mitten in der Stadt.“
Eine Passantin — ehemaliges KZ-Opfer und praktizierende Kommunistin, wie sich bald herausstellt — versucht Aufklärungsarbeit: „Sie wissen ja, daß Sie von Angehörigen der Roten Armee sprechen, die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus ihr Leben gelassen haben.“
Nützt alles nichts. Die Frau wird weggepöbelt.
Wien im Herbst 1956: Nach dem Abzug der Besatzungstruppen leben die Nazis zuhauf auf — und weil sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Thomas Pluch, Chefredakteur-Stellvertreter der „Wiener Zeitung“, versucht sich wieder an einem Stoff der jüngsten Geschichte, nämlich an den Reaktionen der Österreicher auf den Volksaufstand der Ungarn gegen die isowjetrussische Hegemonie.
Einer, der damals in Budapest als „Konterrevolutionär“ dabeigewesen ist, hat sich gleichfalls im Auftrag des ORF an die filmische Bearbeitung eigener Erlebnisse und Erfahrungen als Flüchtling gemacht: György Sebestyen, Autor und ständiger FURCHE-Mit-arbeiter.
Sebestyens „Befristeter Aufenthalt“ und Pluchs „Aufstand“ hätten nicht unterschiedlicher ausfallen können. Gerade noch der Zeitpunkt der Handlungen ist ident.
„Befristeter Aufenthalt“: ein poetischer Film mit sorgfältig gewählten Bildern und Dialogen, ein Schloßspiel über gescheiterte (revolutionäre, politische, persönliche) Träume, über die — mehr als sprachlichen — Verständigungsschwierigkeiten zwischen Österreichern und Ungarnflüchtlingen.
Ganz anders der „Aufstand“: für Pluch sind die agierenden Personen zunächst einmal agitierende. So gerät denn seine Aufarbeitung der österreichischen Zeitgeschichte sehr bald zur pseudoantifaschistischen Abrechnung mit den Vätern der Zweiten Republik. Versetzt mit einem Schuß „Antikommunismus“, eignet sich das Panorama eines solchen Geschichte-Unterrichts höchstens für Agitationen im Wohnzimmer.
Aber auch Sebestyens Film vermag den Zuseher nicht immer über persönliche Betroffenheit zu differenziertem Nachdenken und Uberdenken verführen. Mitunter treibt die Liebe zur detailreichen Milieuschilderung seltsame Blüten, wie zum Beispiel in jener Szene, in der der Graf und Unterkunftgeber der ungarischen Flüchtlinge auf die Jagd geht. Auf der anderen Seite der Grenze rollen die Panzerkolonnen, und der Schloßherr meint zu seinem Begleiter: „Die werden uns noch die Fasane vertreiben.“
Letztlich verlangt jeder der beiden Fernsehfilme geradezu die Ergänzung durch den anderen. Aber auch beide zusammen ergeben noch lange nicht die ganze Wahrheit. Wahrscheinlich profitiert von beiden Filmen jener Zuseher am meisten, der sich durch die im Fernsehen ebenfalls angebotenen politischen Dokumentationen und durch einschlägige Bücher oder Artikel vorausinformiert
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