Glanz und Gegenwehr

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Brigitte Quint über das Aufbegehren in ihrem Alltag und die Sehnsüchte ihrer Kindheit.

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Brigitte Quint über das Aufbegehren in ihrem Alltag und die Sehnsüchte ihrer Kindheit.

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Ich komme gerade aus einem Drogeriemarkt. Der deutsche Gründer der Kette soll ein Tunichtgut sein. In Bezug auf seine Personalpolitik. Aber darum geht es jetzt nicht. Noch nicht. Eine Filiale dieses Drogeriemarktes steht jedenfalls auch in meiner bayerischen Heimatstadt. Seit ich denken und mich sehnen kann. Die Parfüm -und Kosmetikabteilung war für mich ein Ort der Offenbarung. Vornehmlich der Verkäuferinnen wegen. Sie hatten in meinen Kinderaugen den Olymp des Lebens erreicht. Ihr formvollendeter Lidstrich, die tadellose Biegung ihrer Wimpern, ihre schimmernden Haare, das Band, das diese zusammenhielt, die makellos manikürten Fingernägel und natürlich ihre Nähe zu allem, was ich begehrte: Tiegelchen mit parfümierter Handcreme, pastellrosa Lipgloss, Miniaturparfümflakons, Glitzernagellack, Kosmetiktäschchen mit Blumenmuster, pompös verpackte Duftsäckchen. Für mich war klar: Wenn ich erwachsen bin, will ich eine von ihnen werden.

Fast vierzig Jahre später ist mir immer noch schlecht. Ich habe zwanzig Minuten in diesem Drogeriemarkt zugebracht, weil ich ein Mittel gesucht habe, das die Grasflecken aus den Hosen meines Sohnes wegätzt. Die Geruchskulisse war unerträglich. Ich könnte schwören, dass selbst die Verpackung des Antigrasmittels diese unerträglichen synthetischen Riechstoffe ausdünstet. Mich stimmt das melancholisch. Was ist aus meinem Sehnsuchtsort geworden? Wo sind diese feenhaften Frauen geblieben, die ich stundenlang hätte anschmachten können? Warum ist das Feuer in meinem Herzen erloschen? Und ich schäme mich. Weil ich ob meiner Entzauberung froh bin. Womit wieder dieser Tunichtgut auf den Plan tritt. Dass der Arbeitsplatz seiner Angestellten bis zum Himmel stinkt, scheint ihm einerlei zu sein. Der Gesetzgeber lässt ihn gewähren, hält das für zumutbar. Die Lobby der Feen ist unsichtbar. Ich sehne mich danach, dass wir als Gesellschaft an diesem Punkt achtsamer sind. Deshalb ist das Aufbegehren ein Teil meines Alltages. Ach ja: Ich habe nie behauptet, Glitzernagellack und Gloss abgeschworen zu haben. „Glanz und Gegenwehr“ lautet das Motto.

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