Beklemmende Aufklärungskritik

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In seiner am 30. November erschienen zweiten Enzyklika will Papst Benedikt XVI. Zukunftsangst vertreiben. Hoffnung soll entstehen, wo Beklemmung herrscht. Doch in seiner Kritik an den Erträgen der Aufklärung schafft Joseph Ratzinger eher Beklemmung. Zumindest bei all denen, deren Menschenbild davon ausgeht, dass wir Menschen diese Welt verändern können und müssen. So glauben Juden, dass Gott uns den Auftrag gegeben hat, die Welt zu heilen, und die Vernunft, dies auch ausführen zu können. Das ist die sittliche Aufgabe des Menschen. Und Gott traut sie ihm zu.

Die Enzyklika "Spe Salvi" teilt dieses Zutrauen in den Menschen nicht: "Weil der Mensch immer frei bleibt und weil seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete Reich des Guten in dieser Welt geben", heißt es da. Zwar sei "der stete Einsatz dafür nötig, dass die Welt besser wird", aber die bessere Welt von morgen könne nicht "der eigentliche und genügende Inhalt unserer Hoffnung sein". Wer die bessere Welt verspricht, der macht nach Joseph Ratzinger eine falsche Verheißung. Vor der "Selbstgerechtigkeit" des Menschen wird gewarnt: "Eine Welt, die sich selbst Gerechtigkeit schaffen muss, ist eine Welt ohne Hoffnung." Hier, im Bereich des Sittlichen und der Ethik, tritt also die eigentliche Kluft zwischen Judentum und Christentum in diesem Pontifikat deutlich zutage. Denn Juden glauben daran: der Mensch kann in seinem Leben frei zwischen Gut und Böse entscheiden. Irrt er, so kann er umkehren. Und weil er es kann, soll er es.

Aber es gibt eine Einsicht, wo wir uns wieder einig sind: "Nicht die Wissenschaft erlöst den Menschen. Erlöst wird der Mensch durch die Liebe." Hätten wir diese Erfahrung der bedingungslosen Liebe durch einen anderen Menschen nicht, was wäre das Leben?

Der Autor ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, das Rabbiner ausbildet.

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