"Du bist von Gott angenommen“

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Als evangelische Hochschulpfarrerin kennt Gerda Pfandl die Sorgen junger Studierender - und als Homosexuellenseelsorgerin die Nöte gleichgeschlechtlich liebender Menschen. Wie die Lutheranerin gegen Vorurteile kämpft. Auch gegen jene über ihre Kirche.

Gerade gestern ist wieder so eine E-Mail eingetrudelt. Diesmal war es eine junge Frau, die Gerda Pfandl ihr Herz ausgeschüttet hat. Sie bemühe sich, nach den zehn Geboten zu leben, erklärt die anonyme Absenderin. Sie bete auch regelmäßig. Nur in die Kirche gehe sie nicht mehr, seitdem sie festgestellt habe, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Und da sei ein Kirchgang ja nicht mehr erlaubt. Oder?

"Diese Frau weiß gar nicht, dass es bei uns keinerlei Diskriminierung von homosexuell lebenden und liebenden Menschen gibt“, wundert sich Pfandl. Seit Jahren ist sie hier im Albert Schweitzer Haus in der Wiener Schwarzspanierstraße als Hochschulpfarrerin und nebenamtliche Homosexuellen-Seelsorgerin der Evangelischen Kirche A.B. im Einsatz. Und ebenso lange merkt sie, wie wenig die Menschen zwischen den einzelnen Kirchen differenzieren.

Sobald es ihr Terminkalender erlaubt, wird die 46-Jährige der jungen Frau antworten. Sie wird betonen, dass Homosexualität für die Evangelischen Kirchen "nicht krankhaft, abnorm oder gar pervers, sondern eine Ausdrucksform menschlichen Lebens“ sei; dass homosexuelle Paare gesegnet werden können; und dass die Bibelstelle im 3. Mosebuch (Lev 20,13), wonach es für Gott "ein Gräuel“ sei, "wenn jemand bei einem Manne liege wie bei einer Frau“, laut historisch-kritischer Lesart vor allem als Abgrenzung zur damals üblichen kultischen Prostitution zu verstehen ist. Anders als zur Zeit der Entstehung des Alten Testaments wisse man heute, dass gleichgeschlechtliche Paare einander in Liebe und Treue zugetan sein könnten. Und darum gehe es. "Mein Bild von Gott ist nicht so, dass er uns Veranlagungen mitgibt und dann sagt: Die sind böse, die darfst du nicht ausleben“, meint die Seelsorgerin. Deshalb gibt sie Ratsuchenden vor allem einen Satz mit auf den Weg: Du bist von Gott angenommen.

Hier stehe ich und kann nicht anders

Dieser Glaube an die Menschenfreundlichkeit Gottes begleitet sie von Jugend an. 1966 in der evangelischen Enklave Bad Goisern geboren, beschließt sie mit 15 Jahren, Pfarrerin zu werden. Sie studiert evangelische Theologie in Wien und Heidelberg, beschäftigt sich mit weiblichen Gottesbildern - und freundet sich im Studierendenheim mit einem schwulen Kommilitonen an. Auch ein Pfarrer, der sie während ihres Vikariats begeistert, ist homosexuell. Als er von einem Wochenmagazin geoutet wird und nach Problemen mit der Kirchenleitung das Handtuch wirft, lässt Pfandl ihrer Empörung freien Lauf - und wird zum Superintendenten zitiert: "Ich habe ihm erklärt, dass ich nur das predigen kann, was mir mein Glaube sagt und was ich aus der Bibel herauslese“, erinnert sie sich. "Und das wurde akzeptiert.“

Sechs Jahre ist die junge Pfarrerin daraufhin in einer kleinen Gemeinde im mittleren Burgenland tätig; die Sehnsucht nach ihrem Freundeskreis drängt die Single-Frau jedoch zurück in die Stadt. "Gerade im ländlichen Bereich kann man ohne Pfarrfamilie schon einsam werden“, betont Gerda Pfandl. "So integriert man ist - man bleibt doch immer die Seelsorgerin und kann und will sich nicht mit den eigenen Problemen öffnen.“ So wechselt sie lieber nach Wien-Simmering - und 2003 als Pfarrerin zur Evangelischen Hochschulgemeinde.

Offiziell ist sie die Ansprechpartnerin für alle evangelischen Studierenden und Hochschulangehörigen an Wiener Universitäten. Doch tatsächlich kommen Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Sorgen zu ihr: Katholikinnen mit Beziehungsproblemen, Muslime mit Studienproblemen - oder einmal sogar eine überzeugte Marxistin, die sich für ihre spirituelle Sehnsucht schämte. Pfandl hört ihnen zu, baut jeden Sonntagabend den Seminarraum im neu renovierten Albert Schweitzer Haus in einen Gottesdienstraum um und organisiert mittwochs Veranstaltungen. Gestresste Studierende für diese kirchlichen Angebote zu begeistern, ist nicht immer leicht, gibt sie zu. Vor allem zeige sich hier ein ähnliches Problem wie in der Homosexuellen-Seelsorge: Dass nämlich innerkatholische Skandale und Debatten auf alle anderen Kirchen überschwappen. "Ich denke viel darüber nach, warum alle institutionalisierten Kirchen als uncool empfunden werden“, sagt die Pfarrerin und nimmt einen Schluck Espresso. "Man ist ständig bemüht zu sagen: Hey, diese Vorurteile stimmen nicht. Wir sind anders. Versucht uns einmal!“

Warum sie sich diese Rechtfertigungen überhaupt noch antut? "Weil ich selbst erlebt habe, wie schön das Leben in Gemeinschaft mit Gott und den Menschen sein kann“, erklärt Gerda Pfandl. Zweifeln und Hadern gehörten zu diesem Glauben freilich dazu. Erst vergangene Woche habe sie eine gute Freundin beerdigt, die an Brustkrebs gestorben sei. "Da habe ich in meiner Predigt gesagt: Jetzt ist für mich die Zeit der Anklage da, auch gegenüber Gott. Aber es fällt mir trotz allem immer noch leichter zu glauben - als nicht zu glauben.“

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