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Wenn die alte Sara fruchtbar wird

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Im 18. Kapitel der Genesis wird berichtet, daß Gott dem Abraham bei den Eichen von Mamre in der Mittagshitze erscheint. Während Abraham seine Gäste stärkt, ist Sara am Zelteingang. Nach dem Mahl fragt der Herr nach Sara, denn er hat für sie eine Verheißung: „In einem Jahr komme ich wieder zu dir, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben. Sara hörte am Zelteingang hinter seinem Rücken zu. Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt. Sara lachte daher still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch das Glück der Liebe erfahren? Auch ist der Herr schon ein alter Mann! Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Sara leugnete: Ich habe nicht gelacht. Sie hatte nämlich Angst. Er aber sagte: Doch, du hast gelacht.“ (Gen 18,10-15).

Eine solche Begebenheit kann die Entwicklung der Kirche im „alten Europa“ deutbar machen. Viele Indikatoren verweisen nämlich darauf, daß die Kirche Europas, damit auch jene in Österreich, auf eine lange Geschichte zurückblickt. Sie hat das Recht, „alt“ geworden zu sein. „Alt“ ist dabei aber nicht die Kirche selbst, Gottes Anwesenheit unter uns (vgl. Sach 8,23; Mt 1,23), alt ist nicht seine Gnade und seine Kraft. Alt ist aber die konkrete Gestalt unserer Kirche. Deren Zeit ist um: die Zeit, in der die Kirche selbstverständlich Großkirche war, und das nicht aus innerer Kraft, sondern durch kulturelle Unterstützung. Stellvertretend für viele Details, welche die Sara-Ge-stalt der Kirche beschreiben, zitiere ich nur ein Gesetz, das im „Corpus Iuris Canonici Bohemici et Austriaci“ (Böhmisches und Österreichisches Kirchenrecht) aus dem Jahre 1770 sich findet, daß nämlich

„ein jeder Alters halber fähiger Christ, Mann- oder Weibsgeschlecht, sich mit der von der Christ-lich-Catholischen Kirche gebotte-nen Beicht und Communion einstelle, sich mit einem ordentlichen Beichtzettel versehe und selbigen seinem Hausherrn zustelle“.

„Der Beichte Zettel gab er willig - an andre Knaben, aber billig.“ Dieser Satz von Wilhelm Busch verweist bereits auf die ersten Auflösungserscheinungen dieser Sara-Gestalt der Kirche. Die kulturellen Selbstverständlichkeiten wurden aufgeweicht: mit dem Erlaß der Religionsfreiheit zunächst prinzipiell, im Verlauf vieler Generationen auch faktisch. Eben dieser Vorgang spielt sich heute vor unseren Augen nach wie vor ab. Die Möglichkeiten der Kirche, über den staatlichen Arm und gesellschaftliche Einrichtungen den christlichen Glauben den Bürgern obrigkeitlich zuzuweisen, laufen aus. Das meine ich mit dem Altwerden der „Sara-Gestalt“ der Kirche.

In dieses Bild fügen sich nahtlos die Zahlen greifbarer Kirchenstatistik ein: der Rückgang der Gottesdienstziffer, die Abnahme von Priester- und Ordensberufen (siehe Abbildungen). Die Auflösung, oder wie ich vor Jahren schon formuliert hatte, die „Verdunstung“ der kulturgestützten Christlichkeit scheint sich in erkennbaren Phasen zu ereignen. Zuerst wird der sonntägliche Kirchenbesuch unterlassen, damit auch der geistige Austausch mit der Kirchengemeinschaft gemindert. Das wiederum führt zur Verdünnung der religiösen Deu-tungs- und Lebensmuster. Die An-gleichung an kulturell gültige und übliche Muster wird erleichtert.

Die Kirchenzugehörigkeit wird grundsätzlich noch aufrecht erhalten, weicht sich aber auch nach und nach auf. Äußere Anstöße, wie Verärgerung bei der Bitte um religiöse Rituale mit strengem Pfarrer, wie Auseinandersetzungen um die Sexualmoral oder auch die Sozialethik der Kirche, wie innerkirchliche Querelen, vor allem umstrittene Leitungsinhaber führen dann zur rechtlich greifbaren Aufkündigung der Kirchenmitgliedschaft. Daraus folgt nicht, daß es nach dem rechtlichen Schritt keine Kirchenbindung mehr gibt. Es verbleiben nach wie vor partielle Orientierungen an der Kirche auch ohne ausdrückliche Mitgliedschaft.

Wir können annehmen, daß die „Kernindikatoren“ der Kirchlichkeit (wie Kirchenbesuch, Zustimmung zu evangeliumsgemäßen Glaubenssätzen und Lebensregeln) in der nächsten Zeit nicht mehr wesentlich zurückgehen werden.

Sie haben schon ein tiefes Niveau erreicht: die „Talsohle“ würde man prognostisch sagen. Daß dies so sein wird, hat nicht zuletzt auch damit zu tun, daß neben der Auflösung der „Saragestalt“ der Kirche zugleich die „Isaakgestalt“ zum Vorschein kommt: Diese stabilisiert in der Bevölkerung und fördert - wie gleich zu zeigen sein wird - eine Ba-sischristlichkeit und -kirchlichkeit im Volk. Was in den nächsten Jahren aber noch zunehmen wird, vor allem dann, wenn die Kirche durch unkluge personelle Entscheidungen und inhaltliche Äußerungen vor allem zu Lebensregeln den Bürgern selbst Argumente liefert, mit denen sie sich vor den Leuten sogar rühmen können, wenn sie einer „solchen“ Kirche mit solchen Auffassungen und Personen den Rücken kehren.

Gleichzeitig mit dem Absterben der alten Sara wird - aus der Kraft der Verheißung Gottes - die Isaak-Gestalt der Kirche geboren. Auch dafür gibt es ausreichend viele Indikatoren. Auch bei uns gibt es ein „Intensivsegment“ der Kirche, in der viele ihre unvertretbare „geistliche Kirchenberufung“ erkannt haben und entschlossen sind, in guten und bösen Tagen dabei mitzuwirken, daß die Kirche lebt und wirksam ist. Mehr als 50.000 Kirchenmitglieder waren bereit, für Pfarrgemeinderäte zu kandidieren. Die Caritas, wenngleich von den Pfarren noch zu sehr getrennt, leistet Bewundernswertes. Viele Initiativen zeugen von der Lebendigkeit der Kirche. So lohnt sich für die „Unglückspropheten“, die die Geburt der Isaak-Gestalt notorisch übersehen müssen, weil sie dann die kirchliche Entwicklung nicht mehr krankjammern können, ein Besuch im Jugendcaritashaus in der Blindengasse oder bei der WIE-GE, der Plattform für wiederverheiratet Geschiedene.

Er wird in die vielen lebendigen Gemeinden und Gemeinschaften der Kirche in Österreich gehen und sich davon überzeugen, daß Gott nicht vergeblich uns Menschen „hinzufügt“ (Apg2,47): Frauen und Männer, junge und alte. Wer sieht nicht, wie auch viele Frauen heute das Leben der Kirche mittragen, mit einem erstarkten Selbstbewußtsein ihrer gottgegebenen Würde. Sie sind ein Reichtum für das Leben der Kirche. Nicht zufällig ist daher die Frauenbewegung die lebendigste Gliederung der Katholischen Aktion. Isaak-Gestalt: Das sind auch die Erneuerungsbewegungen vielfältiger Art, die wie „Leihmütter“ sind, weil die ursprünglichen Glaubensmütter, die Pfarrgemeinden, nicht immer ausreichend fruchtbar sind und zu viele Pfarrer noch nicht die Hebammenkunst gelernt haben, um der alten Sara bei der Geburt des Isaak behilflich zu sein, und das, bevor sie stirbt.

Und die Zeit drängt. Zu lange Schwangerschaften sind tödlich.

Wir können vorhersagen, daß diese Erneuerung der Kirche, die vor allem in unscheinbaren Glaubenswegen einzelner Erwachsener ihren Anfang nimmt, die sich in „Kirchennoviziaten“ für einfache Kirchenmitglieder äußert, in den nächsten Jahren unaufhaltsam voranschreiten wird. Unddas-noch einmal sei es betont - nicht wegen unserer vorzüglichen Pastoralplanung, nicht wegen oder trotz unserer Neu-Evangel isierungspro-gramme, nicht wegen oder trotz unserer Kirchenleitungen, der alten wie der neuen, sondern weil Gott es auch mit der Kirche in Österreich gut meint.

Also ein Plädoyer dafür, nichts zu tun? Blind Gott zu trauen und tatenlos zu bleiben. Das nicht. Es kommt schon darauf an, daß wir uns in Gottes Kirchenbautätigkeit (Ps 127,1) einschmiegen. Was uns betrifft, so gilt es aber zunächst, wie Sara zu lachen. Gottes Verheißung scheint dem laufenden Trend nicht zu entsprechen. Aber dann werden wir Gottes Verheißung trauen und uns auf die Schwangerschaft und die Geburt der neuen Kirchengestalt einstellen. Vor allem aber braucht es dann „ Kirchenhebammen“. Diese werden nicht - wie manche ungeduldige, vermeintlich fortschrittliche Seelsorger es zumindest rhetorisch verlangen - die Sara erschlagen, bevor sie geboren hat. Die alte Sara hat das Recht, ihrer inneren „Uhr“ entsprechend sterben zu dürfen. Es gibt auch für organisatorische Gestalten ein Recht auf sanften Tod, ebenso wie der Isaak am besten gedeiht, wenn er sanft geboren wird. Gewalt schadet immer im Bereich des Glaubens.

Kirchenhebammen sind solche, die sich sowohl um die alte Sara wie den jungen Isaak kümmern, also die Kunst der Ungleichzeitigkeit beherrschen. Vor allem aber werden sie Geburtshelfer sein: Also so mit Menschen Zusammensein, daß diese vor Gott geraten und in letzter unvertretbarer Glaubenseinsamkeit die Frage stellen lernen, was Gott mit ihnen im Sinn hat, damit seine verjüngte Kirche lebendig sein kann.

Der Autor ist Ordinarius für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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