Ruinen hinter sauberen Fassaden

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Weihnachten rückt in bedrohliche Nähe. Der Wiener Graben wird eben wieder wie jedes Jahr in ein Boudoir verwandelt. Bald wird auch die Rotenturmstraße wieder als Rotlichtbezirk leuchten. Der Frivolität sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, das muntere Volk der Kauflustigen bei Laune zu halten. Aber ist es noch munter? Ist es nicht längst schon in einen Zustand von Unlust verfallen, von dem auch die immer aufwendiger werdenden Sensationen nur für kurze Zeit ablenken können? Verfaulen bei lebendigem Leib. Ruinen hinter sauberen Fassaden. Wie soll da die Ankunft eines Gottes in der Armut der Welt als ein Fest gefeiert werden? Vielleicht gerade da.

Mir ist ein Satz von Simone Weil in Erinnerung geblieben, den ich vor langer Zeit gelesen habe: "Du hättest in keiner besseren Zeit geboren werden können als in dieser, da man alles verloren hat.“ Sie hat das zu sich selbst gesagt. Ich könnte es auch zu diesem Gott sagen, der sich darauf einlässt, Mensch zu werden. Ich könnte es auch zu mir selber sagen und zulassen, dass mir die Felle davonschwimmen, wie es ohnedies tagtäglich geschieht. Wer glaubt heute noch jenen, die mit bemühtem Optimismus behaupten, die Dinge unter Kontrolle zu haben?

In der Kunst sind die großen Inhalte früherer Jahrhunderte verloren gegangen. Den Kirchen geht die Macht verloren, und die ehemals großen Zahlen werden kleiner und kleiner. Daneben strahlt in hellem Glanz eine Luxusindustrie, die alles zu liefern vermag. Nicht nur die feinsten Dinge werden hergestellt, sondern auch die dazu passende Spiritualität mit unterschiedlichen Lebensstilen. Alles zum Aussuchen. Doch neben diesem Glanz ist eine ganz andere Welt zu entdecken. Die kleinen Dinge, das Unscheinbare, das Verworfene, Weggeworfene. Künstler haben diese Welt längst entdeckt. Die Kirchen könnten von ihnen einiges lernen. Gott ist in einem Stall zur Welt gekommen, unscheinbar, unbedeutend und arm. Wie gerne ließen die Manager alle Ställe dieser Welt durch organisierte Caritas entfernen. Aber ist es das? Wer Gott sucht, sollte in den Stall gehen.

* Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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