Schluß mit den Aufgrabungen

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Wie man defekte Abwasserkanäle saniert: Ohne Staub, ohne Lärm, ohne Verkehrsstaus und Umweltbelastungen. Dies ermöglicht eine neue Baumethode für die in Zukunft häufiger werdenden Kanalarbeiten.

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Wie man defekte Abwasserkanäle saniert: Ohne Staub, ohne Lärm, ohne Verkehrsstaus und Umweltbelastungen. Dies ermöglicht eine neue Baumethode für die in Zukunft häufiger werdenden Kanalarbeiten.

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Die Hietzinger Hauptstraße ist im 13. Wiener Bezirk eine der am stärksten frequentierten Durchzugsstraßen. Als der Kanal unter den Straßenbahngleisen saniert werden mußte, war für die Stadtplaner die Vorgangsweise klar: Anstatt die Strecke zwischen Maxingstraße und Kennedybrücke aufreißen zu lassen, entschieden sie sich für den grabenlosen Tiefbau.

"Diese Methode hat viele Vorteile. Warum Gräben aufreißen, wenn es bessere Lösungen gibt?", fragt Helmut Kadrnoska, Leiter der MA 30, die in Wien für die Kanalisation zuständig ist. "Wir brauchen den Verkehr nicht umzuleiten, da die Bauarbeiten unsichtbar bleiben. Auch die Umwelt wird nicht in Mitleidenschaft gezogen."

Die Fertigteile des neuen Kanals wurden einfach über einen kleinen Schacht am Hietzinger Platzl eingebracht. "Mit Ausnahme dieser kleinen Baugrube blieb die Oberfläche unversehrt. Die Hauptstraße konnte weiter genutzt werden. Außerdem fiel bei diesem Verfahren fast kein Aushubmaterial an, was Kosten und Deponievolumen sparte." Ein weiteres Plus: Man brauchte kein Verfüllmaterial und Bitumen zur Wiederherstellung der Verkehrsfläche. Kadrnoska will nach diesen Erfahrungen in Wien noch andere Kanäle grabenlos sanieren.

In Wien, dessen innerstädtische Trassenführung auf die Monarchie zurückgeht, sind ständig Bautrupps unterwegs, um schadhafte Stellen zu beheben. Angesichts des gigantischen Ausmaßes des Abwassersystems eine Sisyphusarbeit. Immerhin beträgt das gesamte Kanalnetz in der Bundeshauptstadt 7.500 Kilometer, was der Strecke von Wien nach Teheran entspricht. Kadrnoska: "Derzeit besteht bei 100 Kilometern akuter Erneuerungsbedarf. Etwa 90 Prozent der geplanten Arbeiten werden wir im grabenlosen Tiefbau machen, weil es die umweltfreundlichste Methode ist."

Manfred Eisenhut, Geschäftsführer der Österreichischen Vereinigung für grabenloses Bauen und Instandhaltungen von Leitungen (ÖGL), freut sich über das Auftragsvolumen der Stadt Wien. Doch ganz zufrieden ist er nicht: "Ich gehe davon aus, daß in Österreich rund 15 bis 20 Prozent der Tiefbauvorhaben grabenlos durchgeführt werden können. Derzeit sind es leider nicht mehr als fünf Prozent. Das soll sich ändern."

Die meisten Auftraggeber sind die Gas- und Wasserwerke großer Städte wie Wien, Graz, Linz und Salzburg. "Die übrigen Planer kennen uns noch nicht so gut. Wir müssen daher auf dem Markt viel bekannter werden", betont Eisenhut. So sollte man den Bauherren "die enormen externen Kosten ins Bewußtsein rufen, die offene Baustellen verursachen.

Von schwenkbaren Computern gesteuert Der Sparkurs der öffentlichen Stellen, die Straßenbeläge nicht nach jeder Leitungsreparatur erneuern wollen, und die wachsende Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber Lärm und Staubbelästigung könnte unserer Technologie zu gewaltigen Zukunftschancen verhelfen."

Für den Geschäftsführer ist das grabenlose Bauen mit schwenkbaren, vom Computer gesteuerten und überwachten Bohrgeräten eine Ergänzung zum klassischen Tiefbau. Die grabenlose Technik, die in den USA und Japan seit Mitte der achtziger Jahre großen Anklang findet, wird ständig weiterentwickelt. Voraussetzung für ihren Einsatz sind exakte Planung und Vorbereitung, modernste Maschinen und hochqualifiziertes Personal.

Professor Rainer Kolator von der Technischen Universität Wien ist davon überzeugt, daß der grabenlose Tiefbau "eindeutig aus der Nische der Sonderverfahren herausgewachsen ist, weil diese Methode umweltfreundlicher und kostengünstiger ist".

Bei offenen Baustellen müsse man den gesamten Verkehr umleiten. Für die Autobenutzer seien sowohl der Zeitverlust durch Geschwindigkeitsbegrenzungen und Umwege zu berücksichtigen. Weiters verursachen offene Baustellen Lärm, Schmutz, Schwingungen und Luftverunreinigungen. "Für die Geschäfte im Baustellenbereich gibt es Umsatzeinbrüche. Hinzu kommen Umweltschäden durch Wasserverunreinigungen und Schäden an Bäumen. Mit der grabenlosen Baumethode erspart man sich solche Probleme", so Kolator.

Hauptgeschäft der "Grabenlosen" ist die Errichtung und Erneuerung von Kanälen. "Im Gegensatz zu anderen Ländern hat bei uns die große Sanierungswelle noch nicht eingesetzt", sagt Eisenhut.

Jedes Jahr werden 25 Milliarden Schilling in den Siedlungswasserbau investiert. Davon fließt der Löwenanteil nach wie vor in den Ausbau des Kanalsystems, nur fünf Milliarden gehen in die Ausbesserung der bestehenden Netze. Eine Situation, die sich schon bald ändern dürfte. Denn die Nutzungsdauer eines Kanals liegt bei durchschnittlich 50 Jahren.

Michael Fusko, Abwasserexperte der Umweltberatung Österreich, schätzt, daß in Großstädten bereits 40 Prozent der Kanalisation renovierungsbedürftig sind. Kein Wunder, daß die Grabenlosen bereits das große Geschäft wittern. "Vor einigen Jahren mußten wir froh sein, wenn wir ein Projekt grabenlos durchführen konnten. Das hat sich inzwischen geändert. Das Umweltbewußtsein ist eindeutig gestiegen", erklärt Bauleiter Franz Enzelsberger von der Firma "Angerlehner Hoch- und Tiefbau". Ein Trend, der sich quer durch alle ÖGL-Mitgliedsfirmen zieht.

Wird ein Kanal grabenlos saniert, ist zunächst die Bestandsaufnahme des Netzes notwendig. Dazu setzt man einen kleinen Kanalroboter ein. Die Maschine kommt überall hin und erfaßt Schäden punktgenau. Modernste Farb- und Schwenkkopftechnik ermöglichen die exakte Aufzeichnung der defekten Rohrleitung. Die Steuerung erfolgt von einem Übertragungswagen, wo die Beeinträchtigungen auf einem Monitor wiedergegeben und gespeichert werden.

Hat man alles genau analysiert, ist eine gründliche Reinigung des Kanalnetzes erforderlich. Bei kleineren Schäden braucht das Rohr nicht erneuert werden. Der ferngesteuerte Roboter repariert mit verschiedenen Werkzeugaufsätzen die betroffenen Stellen oder beseitigt Abflußhindernisse.

Müssen bei größeren Defekten ganze Leitungsteile ausgewechselt werden, kommt das sogenannte "System Berlin" zum Einsatz. Dabei wird eine in einer Baugrube installierte Zugmaschine mit Hilfe eines Ankerstabes an das alte und neue Rohrmaterial angekoppelt. Beim Zurückziehen des Ankerstabes werden die alten Rohre auf einen Spaltkeil in die Zielbaugrube gepreßt und geborsten. Der Schrott des alten Rohrmaterials wird unterhalb der Zugmaschine aufgefangen. Die neue Leitung wird dann problemlos angekoppelt.

Planer, Bauherrn und kommunale Unternehmen, die sich für das Verfahren interessieren, haben die Möglichkeit sich an die ÖGL-Geschäftsstelle in Wien zu wenden. Sie leitet Unterlagen an alle ÖGL-Mitgliedsfirmen weiter. Ist eine Baufirma an dem Vorhaben interessiert, nimmt sie direkt mit dem Antragsteller Kontakt auf.

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