Jenseits des Tahrir-Platzes

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Die Furche-Herausgeber

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Am Abend der Freudentänze in Kairo habe ich drei Bücher hervorgeholt. Der Kurier hat sie mir einst zum Abschied geschenkt - nach 25 Jahren als außenpolitischer Journalist: eine Sammlung meiner Kommentare, Interviews und Reportagen zur Weltpolitik. Die Mehrzahl behandelt den Nahen Osten - mein Lebensthema.

Wie oft war Ägypten mein Reiseziel und Thema: die Schlachten und Friedensversuche. Die Zeiten der Kriegsangst: unvergesslich der Abend, als das "Son et Lumière“-Spektakel vor der grandiosen Kulisse der Pyramiden von Gizeh für einen einzigen Besucher abrollte - für mich. Die Tage der Ausnahmestimmung: als sie Nasser zu Grabe trugen - und dann auch Sadat. Die Stunden der Freude: etwa als der Suezkanal zwei Jahre nach dem Oktoberkrieg 1973 wieder eröffnet wurde. Die Interviews - und die Besuche beim "großen Pharao“: mit Kissinger, Waldheim, Kreisky, Klestil …

Das Volk ausgeblendet

All das habe ich jetzt nachgelesen. Aufgewühlt von den aktuellen Geschehnissen - und doch seltsam berührt. Denn: Meine eigene "Chronik Ägyptens“ hatte einen wesentlichen Faktor der Zeitgeschichte völlig ausgeblendet: das Volk. Immer hatte ich über Politiker, Generäle, Diplomaten, Religions- und Finanzeliten berichtet, nahezu nie über die Menschen. Politik war "Chefsache“.

Wer jetzt die Berichte aus Kairo hört, vernimmt eine ganz andere Botschaft: Diese Revolution kennt keine Anführer und keine dominanten Gesichter. Sie war ein Sieg der Namenlosen. Welch ein Fortschritt: Die alten, widersprüchlichen Feindbilder von den ungebildet-gottergebenen oder aber radikalisiert-religiösen arabischen Massen haben sich als falsche Dämonisierungen erwiesen.

Und doch kommt mir ein Gemälde von Rudolf Hausner († 1995) in den Sinn: "Adam, der ungeliebte Sohn III“: Da ist dieses prekäre Gerüst von übereinander geschichteten Spielhandlungen: Oben Leonardos "Letztes Abendmahl“. Darunter ein Billardtisch, an dem Adam zum Stoß ansetzt - die Abendmahlgesellschaft hat sich zur Prüfungskommission gewandelt. Und darunter ein Boxring: Adam im Kampf gegen die Autoritäten, auch gegen sich selbst. Personen und Holzleitern vernetzen die Szenen.

Die vielen Spielebenen

Was das mit Ägypten 2011 zu tun hat? Ich meine: Auch dort ist der Kampf gegen die höchste Autorität nicht nur auf dem Tahrir-Platz entschieden worden. Vor und hinter den Kulissen haben viele mitentschieden - auf vielen Spielebenen: Die Militärs. Die USA. Die Geldeliten - und ihre Panik vor dem Volk. Die Medien, die das Zentrum Kairos plötzlich zur globalen Arena gemacht haben … Warum bekam die Armee keinen Schießbefehl? Warum blieb Mubarak zunächst stur und ging dann doch? Warum meldete der CIA-Chef den Sturz zu früh? Usw. Wir wissen es nicht.

Wahr ist: Das Drehbuch dieses Aufstands wurde diesmal vom Volk geschrieben. Aber nach wie vor hat die Geschichte viele Väter (und Mütter). Der ewige Kampf zwischen Interessen und Werten - oben und unten - wird auch "nach Kairo“ weitergehen. Und der globale Sieg der Bürger ist längst keine ausgemachte Sache.

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