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Die Zukunft des Marxismus

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Niemals Weltanschauung

1. Gegenstand der Umfrage ist nicht der Sozialismus, sondern jene seiner Spielarten, die man Marxismus nennt.

Es gibt aber nicht mehr den Marxismus, wie er kurze Zeit, bis zur ersten wesentlichen Abweichung nach „rechts“ (erster Revisionismus), bestanden hat, sondern viele Marxismusformen. Trotzdem wollen wir aus Gründen einer nun einmal erforderlichen kategorialen Darstellung annehmen, daß man noch von dem einen Marxismus sprechen kann. Unvermeidbar ist freilich, daß wir den Marxismus in der Darstel lungsweise, wie er sie angesichts der Chancen weitgehender politisch- ökonomischer Realisierung im Osten gefunden hat, vom Marxismus der sogenannten „pluralistischen“ Gesellschaft des ebenso sogenannten Westens unterscheiden.

2. Als Weltanschauung haben beide Marxismen deswegen keine Zukunft, weil sie weder gestern noch heute so etwas wie eine Weltanschauung gewesen sind. Die enge Teilsicht und Erklärung dessen, was man als „Welt“ mit dem freien Auge zu erkennen vermochte, war im allgemeinen lediglich von der Bedacht- nahme auf optimale Bedürfnisbefriedigung einer sozialen Großgruppe bestimmt gewesen. Welt war dem Marxismus eine Summe von vorenthaltenen oder künftigen Konsumchancen. Jedem Ding in dieser Welt wurde ein Konsumcharakter bei des Denkens lediglich durch ökonomische Tatbestände) ist der Marxismus teilweise Ideologie: Er ist aber in seiner Analyse der Betriebsverhältnisse des 19. Jahrhunderts angesichts der verfügbaren Untersuchungsinstrumente auch eine (historische) Wirklichkeitsanadyse. Soweit der Marxismus seine Befangenheit, zum Beispiel seine Annahme, daß es nur eine Klassenmoral gebe, ablegt, wenn er versucht, die sozialökonomischen Verhältnisse zu analysieren, wem immer die zu erwartenden Ergebnisse nützlich sind (und sie werden weithin der Arbeiterschaft dienlich sein), wird er ein praktikables Dargebot von Ideen und Analysen bieten können. Die Chance, die an sich substanzlosen Forderungen der Französischen Revolution (die eine großbürgerliche Erhebung war) in die soziale Wirklichkeit zu übersetzen, kann durch einen neuen Marxismus, der sich auf den Frühsozialismus besinnt, gefördert werden. Ich kann daher die Frage 2 bedingt mit Ja beantworten.

4. Der Marxismus, ein vielschichtiges Phänomen, ist auch eine Methode der Erklärung von historischen Ereignissen und des Entstehens von Ideen. Es wird heute kaum geleugnet, daß das wirtschaftliche Interesse und die von ihm konstituierten Produktionsverhältnisse ohne Einfluß auf den Geschichtsverlauf und auf die Bildung von Ideen sind. Selbst im Marxismus gibt es gegenwärtig die Erscheinung konservativer Ideen (formuliert von jenen Marxisten, die „oben“ sind). Als eine Methode der Interpretation historischer und geistiger Erscheinungen hat der Marxismus eine Zukunft, muß jedoch (und das geschieht bereits) davon Abstand nehmen, alle Erscheinungen vom Wirtschaftlichen her zu erklären, also methodenmonistisch vorzugehen. Die dritte Frage kann ich daher ebenso wie die zweite bedingt mit Ja beantworten.

Meine Frage ist freilich: Ist der Marxismus, wenn er sich bemüht, Ideologie durch wissenschaftliche Interpretation zu ersetzen und seine monokausalen Untersuchungsmethoden an jene der modernen Soziologie anzupassen, noch Marxismus? Ungefragt sage ich: Nein!

Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt geschnitten und bedürfen heute einer Anpassung an die veränderte Industriegesellschaft, zum Beispiel die Theorie der industriellen Reservearmee, die Theorie der fallenden Lohnquote, die Verelendungstheorie. Andere Fragen, die heute im Vordergrund stehen, stellten sich Marx damals noch nicht, wie das Entwicklungsgefälle in der Weltwirtschaft oder die internationalen Währungsprobleme von heute. Bleibend aber sind die Methode der Wirt- schafts- und Gesellschaftsanalyse, die Marx anwandte, die Ideologiekritik, die dynamische Betrachtungsweise und die makro-ökonomischen Aspekte.

2. Seine Weltanschauung: Von den philosophisch-weltanschaulichen Grundlagen des Marxismus ist die realistische Erkenntnistheorie, die Auffassung der Erscheinungswelt als eines fortlaufenden Prozesses (Dialektik) und die neue Geschichtsauffas sung von bleibendem Wert. Dagegen scheint mir der militante Atheismus von Marx durch die damalige enge Verbindung von Kirche und dynastischem Feudalismus provoziert und nicht systeminhärent zu sein.

3. Seine politischen Perspektiven: Das geschichtliche Verdienst des Marxismus war der beispiellose Aufstieg der Arbeiterklasse. Die politische Zukunft des Marxismus allerdings liegt mehr bei den Entwicklungsländern, denen er ein Programm des Antikolonialismus und der raschen Industrialisierung bietet. In den hochentwickelten Industrieländern des Westens gewinnt zwar die Idee der Wirtschaftsplanung ebenfalls an Boden, aber nicht auf Grund der marxistir en Thesen, sondern rein pragmatischer Erwägungen.

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