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Neues Denken hilft zur Integration

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Die Ideologiedebatte, die der Bundesparteiobmann der ÖVP gestartet hat, hat in der Öffentlichkeit ein erstaunlich lebhaftes Echo gefunden. Diese Debatte entspricht zweifellos einem Zeitempfinden. Vielleicht, weü die Menschen von dieser Debatte Antworten auf die • Frage nach dem Sinn des Lebens erwarten, die heute so brennend aktuell geworden ist.

Die Ideologie stellt einen sozialen Motivationsfaktor dar, dessen Ursprung tief im Geistigen liegt. Die Ideologiedebatte ist daher grundsätzlich positiv zu beurteilen. Sie hat eine den parteipolitischen Rahmen überschreitende Funktion und kann durchaus Eigendynamik gewinnen.

Der Begriff „Ideologie“ hat freilich einen schillernden Inhalt und muß für den politischen Gebrauch geklärt werden. Wenn man „Ideologie“ als ein politisches Weltbild mit Wertorientierung definiert, muß man die Frage nach den Werten beantworten. Die marxistische Lehre identifiziert in diesem Zusammenhang „Werte“ mit „Interessen“, und zwar mit Klasseninteressen. Ideologie wird dann ein politisches Weltbüd zur Rechtfertigung oder zur Verschleierung von Klasseninteressen. Für uns stehen Werte aber in einem Transzendenzbezug. Sie sind Zielvorstellungen und richten sich auf das „Wahre“ und „Gute“. Ideologien sollen den gesellschaftlichen Wandel in der Richtung auf eine gerechtere und harmonischere Zukunft hin steuern.

Eine Ideologie kann diese Funktion freüich nur erfüllen, wenn sie der zu gestaltenden Wirklichkeit adäquat ist. Nun scheint es aber, daß wir uns heute mit Wirklichkeiten konfrontiert sehen, die wir mit den herkömmlichen Denkstrukturen nicht mehr verstehen, ordnen und steuern können. Es sind also neue Denkstrukturen, eine neue Philosophie notwendig geworden.

In der Tat stehen wir mitten in einer geistigen Umbruchsbewegung. Deutliche Anzeichen hiefür gab es zum Beispiel beim Wiener Philosophenkongreß 1968. Dieser Kongreß signalisierte nicht nur das Ende des Neopositivismus als einer Quasi-Ideologie, sondern auch tiefgreifende Wandlungen in den Denkweisen des Marxismus. So er klärte damals unter dem Druck der gegen die „Eindimensionalität“ des Denkens protestierenden Studenten Sir Karl Popper, daß er keineswegs ein Positivist in jenem eindimensionalen Sinn sei, und Alfred Ayer erklärte vor dem Plenum, daß der Positivismus sich selbstverständlich nięht zuständig erachte für den Bereich der Werte und der menschlichen Entscheidungen. Damit war aber der Positivismus als Weltanschauung abgetreten.

Aber auch der Marxismus erlitt eine Niederlage, die aller Voraussicht nach seinen Untergang ankündigte: Einige Tage vor dem Kongreß waren die Russen in Prag einmarschiert, ein Ereignis, das die auf dem Kongreß anwesenden Marxisten entzweite und den Glauben an einen marxistischen Humanismus schwer erschütterte.

Marxismus überholt

Der Marxismus ist aber auch aus dem Grunde obsolet geworden, weil er vor der Aufgabe der Weltintegration, die wir jetzt lösen müssen, versagt. In dieser Situation ist eine Lehre, die allein den Kampf der Gegensätze als Motor der Geschichte betrachtet, überholt.

Was nun emporkommt, ist ein inte- gratives Denken, das nicht auf Analyse und Spaltung von Systemen gerichtet ist, sondern die Integration vormals isolierter Systeme zu größeren Komplexen zu konzipieren und zu motivieren vermag. Wichtig dabei ist, daß die Teüsysteme in ihrer Eigenart gewahrt bleiben müssen, jedoch durch ein wertorientiertes Zusammenwirken eine neue Seinsschicht, eine neue Wirklichkeit bilden, die etwas anderes darstellt, als die bloße Summe ihrer Teüe.

Dieses neue Denken kommt in vielen Disziplinen und Seinsbereichen hervor, etwa in der Kybernetik, in der Systemtheorie und in der Ökologie; aber auch im politischen Bereich, und zwar hier als „Soziale Integration“ und als „Partnerschaft“.

Die in Österreich angelaufene Ideologiediskussion wird nur dann sinnvoll sein, wenn sie diesen angedeuteten geistigen Wandel mitvollzieht. Die Politiker werden sich das integrale Denken aneignen müssen, widrigenfalls sie in der Ideologiedebatte nicht bestehen werden.

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