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Der Führer wird es schon machen

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Der Baath ist daher ein Novum. Er ist — abgesehen von den Kommunisten — die einzige arabische Partei, die ein politisches Programm im westlichen und eine Ideologie im östlichen Sinn besitzt, die sich an einer „Parteilinie“ orientiert und die nicht allein darauf abzielt, die Macht zu gewinnen, sondern sie nach einem vorgegebenen Plan zu meistern trachtet.

Der durchschnittliche Araber gewöhnt sich allerdings nur schwer an systematisches Denken. Seine politischen Vorstellungen, die von einer quasi-religiösen Einheitssehnsucht und von der Erinnerung an ein fragwürdiges historisches Weltreich beherrscht werden, sind vage und passiv und werden leicht auf charismatische Führerpersönlichkeiten projiziert. Die Araber sind eigentlich unpolitisch, und die Hoffnung, „der Führer werde schon alles richtig machen“, Ist nirgendwo verbreiteter als unter Ihnen. Den Beweis dafür liefert Abdel Nassers Ägypten: Vor zwölf Jahren stak das ganze Land in einem fürchterlichen Sumpf; das Volk war enttäuscht, niedergedrückt und hungrig, und die Revolution erlöste es. Heute hat Ägypten Raketen, aber keinen Reis; es hält die Fiktion der „Vereinigten Arabischen Republik“ aufrecht, aber der Weg zu den syrischen Fleischtöpfen verschloß sich, als es sich gerade daran gütlich tun wollte. Trotzdem zweifeln die Fellachen kaum an Abdel Nassers gutem Stern.

Als der Baath entstand (1940), war diese Bewußtseinslage noch verbreiteter. Deshalb dauerte es so lange, bis sich die Partei durchsetzen konnte. Einer ihrer Gründer ist Michel Aflak, der außerhalb eines engen Freundeskreises lange unbekannt blieb. Er ist (christlicher) Syrer und kam in seiner Pariser Studienzeit in den dreißiger Jahren mit kommunistisch gesinnten Intellektuellen zusammen. Er lebt heute

— für einen arabischen Politiker gleichfalls ein Novum — mit seiner dreiköpfigen Familie zurückgezogen in einer einfachen Etagen wohnung In einer unauffälligen Straße in Damaskus.

Aflak trennte sich bald wieder von den Kommunisten. Er erkannte, daß sie die arabischen Verhältnisse falsch beurteilten. Die marxistische Schule verleugnete er nie; der Sozialismus

— allerdings in einer arabischen Spielart — blieb seine Ideologie. Das macht den Baath denn auch für die Araber „modern“. Der Sozialismus fasziniert die arabischen Massen.

Die Kluft zwischen der unermeßlich reichen Oberschicht und den unvorstellbar armen Massen ist nirgends größer als in den arabischen Ländern. Daher konnte sich bei ihnennöch jeder Gehör verschaffen, der die Reichen ärmer und die Armen reicher zu machen versprach. Es gibt keine republikanische Araberregierung, die sich nicht „sozialistisch“ nennt, wenngleich sie den echten sozialen Lastenausgleich, Besserstellung der Armen, und materiellen und geistigen Fortschritt noch alle schuldig blieben.

In einem politischen Klima, in dem das Charisma des Führers über die politische Vernunft triumphiert, hat die Baath-Partei noch immer einen schweren Stand. Sie besitzt ein nuanciertes politisches Programm, das die arabische Einheit auf föderalistischer Grundlage, die dauerhafte soziale Mehrheitsbildung innerhalb der Massen als einzigen politischen Ordnungsfaktor, Sozialisierung der Ölquellen und des Großgrundbesitzes, um nur einiges zu nennen, vorsieht. Aber sie hat keine Führerpersönlichkeit etwa vom Rang Abdel Nassens.

Trotzdem ist der Baath seit 1961 in Syrien die stärkste politische Partei, ohne die zu regieren unmöglich ist. Gleichwohl stürzte sie 1963 den irakischen Diktator Kasaem und spielt seitdem in diesem Land die führende Rolle. Das sind Anzeichen dafür, daß sich dos politische Klima der arabischen Welt wandelt. Die Menschen beginnen einzusehen, daß große Führer allein ihr Wohlergehen nicht gewährleisten. Sie werden empfänglicher für echte politische Programme, die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme systematisch und von Persönlichkeiten unabhängig zu bewältigen suchen. Die weiterhin instabilen innerpolitischen Verhältnisse Syriens konnten daher den Baath bisher nicht ernsthaft gefährden. Der kalte Staatsstreich des Generals Aref, der die Baathisten vorläufig ausbootete, minderte die Bedeutung ihres irakischen Zweiges nicht.

Die Neuwahl der „internationalen Führungsspitze“ der Baath-Partei fällt in eine Zeit, in der sie wieder einmal taktische Rückzieher macht. Der Baath formiert sich in aller Stille neu. Er ist einer der beiden politischen Pole der arabischen Welt geworden. Abdel Nasser ist der andere. Ihm steht die entscheidende Auseinandersetzung mit den Ideologen von Damaskus noch bevor. Der Baath ist bislang noch aus jedem Kampf um die Vorherrschaft über die arabische Welt gestärkt hervorgegangen.

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