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"Wiewohl der russische Hintergrund zum Attentat gegen Skripal gegeben scheint, sind viele Frage offen betreffend Motiv und Strategie.

Ohne Beweise wirken die Anschuldigungen der Regierung in London gegen Putin umso hilfloser, je heftiger sie vorgetragen werden. Tatsächlich sind die Ermittlungsergebnisse ernüchternd dürftig."

Sicher: Wer, wenn nicht Wladimir Putin hätte sich das Misstrauen der Weltgemeinschaft über Jahrzehnte hinweg penibel erarbeitet? Seine diversen Ukraine-Missionen, sein Engagement in der neuen Kriegszone Internet, seine Unterdrückung aller relevanten politischen Widersprecher, sein an tiefer Korruption leidender Apparat von Günstlingen und Claqueuren; die von ihm gestützte Oligarchitis, die Russland seine wirtschaftlichen Lebenskräfte entzieht. Der Autokrat von Moskau, so kann man wohl ohne große Aufregung sagen, wirft, wo immer er auftaucht einen tiefen und breiten Schatten, militärisch, menschlich und ökonomisch.

Wie soll man aber mit einem solchen Weltpolitiker umgehen, wenn er recht eindrucksvoll bestätigt, dass ihn die internationalen Verträge und diplomatischen Gepflogenheiten einen feuchten Kehricht kümmern? Was tun, wenn auf englischem Boden ein Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter verübt wird, noch dazu mit einem Nervengift aus sowjetischer Produktion?

Und kann man Putin als den "höchstwahrscheinlichen" persönlichen Urheber der Anschläge bezeichnen, wie das der britische Außenminister Boris Johnson getan hat? Dazu bräuchte es zumindest einen Beweis, ein Dokument, ein Telefongespräch, Zeugenaussagen, die Putin direkt involvieren.

Die Antwort, die zu solchen Beweisforderungen aus London kommt, ist folgende: Es sei undenkbar, dass ein solcher Angriff ohne Wissen des Präsidenten erfolgt sei. Das ist aber kein Beweis, sondern eine Vermutung und noch dazu eine, die auf tönernen Beinen steht. Denn wenn tatsächlich der Machtkampf der Eliten um Putins Erbe längst begonnen hat, dann wäre es keineswegs unwahrscheinlich, dass der Mordanschlag Teil von Komplotten einzelner Fraktionen ist.

Wiewohl also der russische Hintergrund der Tat klar zu sein scheint, geben Auftrag und Zeitpunkt Rätsel auf. Denn tatsächlich brauchte Putin das Aufsehen dieses Anschlags nicht, wie er selbst sagte. Weder um die Wahlen zu gewinnen, noch um die Opposition im eigenen Land ruhig zu stellen und schon gar nicht, um die Fußballweltmeisterschaft zu bewerben Er musste auch nicht von innenpolitischen Missständen oder außenpolitischen Schwächen ablenken, denn tatsächlich hat Russland intern schon sehr viel turbulentere Zeiten erlebt in den vergangenen Jahren.

Nationalismus als Nahrung

Nach Innen scheint Putin - wenn schon nicht durch noch so schöne oder geschönte Wahlergebnisse, so doch durch die eigene Hand -gefestigt wie eh und je. Den Konflikt mit der Ukraine bezahlt Russland mit Milliarden teuren Sanktionen. Gleichzeitig scheint den Russen der als Entschädigung gereichte Nationalismus Nahrung genug zu sein. Und Putins Plan, sich selbst als großer Baumeister Russlands in die Geschichtsbücher einzutragen, wirkt.

Nicht zuletzt aufgrund der als Wunderwerk gefeierten 19-Kilometer-Brücke auf die Krim über die Meerenge von Kertsch, die in Rekordzeit bis 2020 errichtet wird und nicht weniger als 5 Milliarden Euro kostet.

Insgesamt macht das Regime Putins dem Westen aber wohl mehr durch seine digitalen Fähigkeiten Angst, Wahlen und Stimmungen zu beeinflussen, als durch Mord und Totschlag. Letztere blieben, so schien es, auf Kriegsschauplätze wie Syrien beschränkt, wo Putin die nationalen Interessen der Weltmacht ohne Rücksicht auf die Kosten verteidigt. Und solange diese Brutalität dort im blinden Winkel westlichen Mitgefühls blieb, solange gelang es Putin auch, Teile von Politik und Establishments des Westens für sich und gegen die Ukraine-Sanktionen einzunehmen.

Wenn aber im Fall Skripal bestätigt würde, dass der Herrscher im Kreml nicht der überlegene Stratege wäre, für den man ihn hält, sondern ein impulsiver Gewalttäter, würde das die Verehrung äußerst schwer machen.

Das einzige Indiz gegen Putin ist diesbezüglich ein Zitat aus einer Rede aus dem Jahr 2010, in der er Spionen offen drohte: "Verräter enden immer schlecht." Wenig später garnierte er das noch mit Beschimpfungen gegen "Schweine-Verräter, die von selbst verfaulen werden".

Und das bringt uns zur Misere des Westens: Denn außerhalb dieser Entgleisungen gibt es keine Hinweise auf Putin selbst. Auch bei den mysteriösen zwölf Todesfällen nicht, bei denen regimekritische Russen in Großbritannien in den vergangenen Jahren auf dubiose Weise ums Leben kamen. Und nicht einmal in dem sehr klaren Fall der Ermordung des Ex-FSB-Agenten Alexander Litwinenko in London 2006.

Und so wirken die Anschuldigungen der britischen Regierung gegen Putin umso hilfloser, je heftiger sie vorgebracht werden. Denn hinter den angeblichen Gewissheiten Boris Johnsons stehen Ermittlungen, die nicht einmal mit Sicherheit sagen können, wie Skripal und seine Tochter mit dem Gift in Kontakt gekommen sind, geschweige denn konkrete Verdächtige präsentieren. Das ist zwei Wochen nach dem Vorfall eine mehr als ernüchternde Bilanz.

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