Putin - © DIE FURCHE · 23 International Foto: APA / AFP / Sputnik / Anton Novoderezhkin

Krieg und Diktatur: „Die düstere Seite Russlands“

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Spätestens seit 2020 sei die Entwicklung zum Ukraine-Krieg absehbar gewesen, sagt der russische Regimekritiker und Journalist Alexander Baunow, der vom Regime außer Landes getrieben wurde. Ein Gespräch.

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Spätestens seit 2020 sei die Entwicklung zum Ukraine-Krieg absehbar gewesen, sagt der russische Regimekritiker und Journalist Alexander Baunow, der vom Regime außer Landes getrieben wurde. Ein Gespräch.

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DIE FURCHE: Es wird viel gestritten darüber, ob man hätte wissen können, dass Russland seine Aggression bis zum Krieg treibt.

Alexander Baunow: Ich würde sagen, es gibt einen ganz klaren Punkt, an dem wir mit dem Countdown auf den Krieg, der jetzt passiert, beginnen können – nämlich 2019. Ein Jahr davor, 2018, nach der Annexion der Krim und der heißen Phase des Donbass-Krieges, gab es die Fußballweltmeisterschaft, und das Land war überraschend off en. Die Gesellschaft war überraschend gastfreundlich – und das nach Jahren massiver antiwestlicher Propaganda. Russland hat versucht, sich als off enes, modernes Instagram-Land zu präsentieren. Und im Grunde haben sie das geschaff t. 2019 gab es dann Kommunalwahlen in Moskau. Die Opposition und vor allem Nawalny haben diese Wahlen für sich genutzt. Es ist ihnen gelungen, gezielt Abgeordnete im Stadtparlament zu platzieren – nicht Abgeordnete der Opposition, aber immerhin Abgeordnete, die das Regime nicht in diesen Positionen vorgesehen hatte. Die Proteste danach wurden mit einer Brutalität unterdrückt, wie wir sie noch nie gesehen haben. Und die Rhetorik drehte sich ab dann nur mehr um eines: Sie – die Opposition – wollen das Regime in Moskau stürzen. Im Sommer 2020 wurde Nawalny vergiftet. Seitdem können wir sagen, dass das russische Regime die Richtung eingeschlagen hat, in die es jetzt geht.

DIE FURCHE: War auch Covid ein Faktor?

Baunow: Covid ist sicher ein Faktor. Wenn man sich das Wirtschaftsprogramm vor 2020 ansieht, so ging es da hauptsächlich um Entwicklung und nicht um eine Veränderung der Weltordnung. Es wurde zu einem großen Teil von Systemliberalen verfasst. Also von Leuten, die nicht zur Opposition gehören, aber auch nicht zum Regime. Das Ziel war, Russland zu einem wichtigen Teil der Weltwirtschaft zu machen. Covid und die damit einhergehende Rezession haben dieses Wirtschaftsprogramm beendet. Die Reaktion der Menschen da rauf war die typische Reaktion einer frustrierten, nicht sehr selbstbewussten, erstaunlich postkolonialen Gesellschaft, in der die Erzählung vorherrscht: Das Virus wurde von den Weltenlenkern im Westen in die Welt geschickt. Die Reaktion war anti globalistisch und eben nicht gegen Putin.

DIE FURCHE: Ist das jetzt ein von Ideologie getriebener Krieg – oder ist das ein Krieg, in dem ein angeschlagenes Regime verzweifelt einen äußeren Feind sucht?

Baunow: Ein Regime dieser Art kommt nicht darum herum, ideologisch zu werden. Es wurde die Idee etabliert, dass Russland Autoritarismus braucht. So, als ob Russland nicht reif wäre, dem Chaos der 1990er Jahre ein Ende zu setzen. Gegenüber der Bevölkerung wurde lange die Geschichte erzählt, man ermögliche ein ruhigeres Leben und Wohlstand bei zugleich langsamer Demokratisierung. Das Gegenteil ist passiert. Aber auch wenn man Demokratie unterdrückt, muss man irgendwann erklären, wieso man an der Macht ist. Und dann braucht man eine Ideologie und eine Geschichte. Deshalb sind sie von rationalen Begriff en zu ideologischen übergegangen.

DIE FURCHE: Das Erschreckende ist, dass man mitunter den Eindruck gewinnt, die russische Führung glaube selbst an die eigenen Verschwörungstheorien.

Baunow: Sie glauben an diese Theorien. Sie wiederholen Dinge, die völlig verrückt sind. Sie erfinden Zitate von Madeleine Albright, Condoleezza Rice oder Churchill. Oder sie erfi nden die westliche Realität: Wenn Lawrow etwa sagt, dass die russische Kultur weltweit annulliert werde. Sie sagen: „Sie löschen nicht uns aus, sie löschen die gesamte russische Kultur aus.“ Putin stellt sich damit auf eine Stufe mit Rachmaninow oder Dostojewski.

DIE FURCHE: Aber diese Gleichsetzung zwischen dem Regime und Russland oder der russischen Kultur ist ja auch keinesfalls neu und passiert nicht erst seit 2019.

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