Putin und China - ©  Getty Images / Mikhail Svetlov

Ukraine und China: Die Zeitenwende des Misstrauens

19451960198020002020

China sieht sich als neuer Hegemon der Weltpolitik. Im Lichte des Ukrainekriegs und der Freundschaft zwischen Xi Jinping und Putin sollte eine Wirtschaftsunion der Demokratien entstehen. Eine Analyse.

19451960198020002020

China sieht sich als neuer Hegemon der Weltpolitik. Im Lichte des Ukrainekriegs und der Freundschaft zwischen Xi Jinping und Putin sollte eine Wirtschaftsunion der Demokratien entstehen. Eine Analyse.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Krieg erzeugt nicht nur Leid und Tod, er reizt auch zu mehr oder weniger gelungenen Theorien über strategische Machenschaften an. So stand in der Vorwoche in einem politischen Nachrichtenportal, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Gerüchte aus den EU-Institutionen brandheiß zu servieren, eine höchst aufregende Neuigkeit zu lesen: Beamte der Kommission hielten es für möglich, dass China willentlich die Weltwirtschaft und Europas Wachstum beeinträchtige, um die Inflation anzuheizen – und Europa in Krisenstimmung zu versetzen, die zusammen mit dem Krieg in der Ukraine, noch furchtbarer aufs Gemüt und die Macht der EU schlagen würde.

Unterfüttert wurde das mit Argumenten, die belegen sollten, dass Peking den globalen Handel bremse, indem es etwa den Hafen Shanghai durch die Covid-Maßnahmen lahmgelegt, und davor schon die Produktion in einigen Bereichen zu spät oder unzureichend hochgefahren habe. Das ist deshalb erstaunlich, weil China damit sich selbst Milliardenverluste beibringen würde, nur um seinen wichtigsten Absatzmarkt Europa zu schädigen, der in Folge dieser Schwäche noch weniger Handel mit China treiben würde, was wiederum China weitere Milliarden kosten würde… Dieses Szenario ließe sich bis zum ökonomischen Nullpunkt fortsetzen, wodurch sich erhellt, dass die Theorie gewagt ist bis in den Nonsens hinein.

Die profitgetriebene Schonung Pekings vor Kritik ist seit dem Bündnis mit Putin vorbei. Es hagelt Kritik an Beschwichtigern.

Gleichzeitig liegt in ihr aber auch eine hohe Aussagekraft darüber, was generell an Aggression China zugetraut wird. Dass also selbst katastrophale Fehler in der Krisenpolitik (wie der sinnlose Wohnungsarrest von Millionen Menschen ohne zureichende Nahrungsmittelversorgung in Shanghai) als teuflische Intrige gegen Europa wahrgenommen wird. Sollte die Globalisierung also tatsächlich in den kommenden Jahren scheitern, dann würde sie nicht nur an objektiven Schieflagen im Kapitalismus, sondern vor allem an dieser Gefühlszerrüttung zerschellen: Man könnte die Weltlage in diesem Sinn eine „Zeitenwende des Misstrauens“ nennen, die sich in allem ausdrückt, was dazugehört: Boykott und Gegenboykott, Krieg, Nachrüstung, diplomatische Eiszeit.

Dass diese emotionale Weltlage so ist, hat aber auch ursächlich mit Chinas zunehmender globaler Kraftmeierei zu tun. Mit der Errichtung von Armeebasen auf den Salomoneninseln im Pazifik, mit dem militärischen Hegemonialanspruch im Südchinesischen Meer und mit der permanenten Krise zwischen Peking und Washington, wobei die USA auch alles dazu tun, um Misstrauen gegen Xi Jinping zu verstärken. Desaströse Auswirkungen auf Chinas Weltbeziehung hat aber vor allem sein Engagement als Freund Russlands im Ukrainekrieg.

Auch das ist eine Zeitenwende, denn China hat damit seine passive Rolle in der Weltpolitik verlassen. Wenn man ein Wort von Hugo Portisch aufnehmen will, so ist der „schlafende Riese“ nicht nur erwacht, er ist zudem aufgestanden und marschiert gegen den Westen und die Demokratie – und das mit übler Absicht. Es wird also auf der anderen Seite in den nächsten vielen Jahren keinen Politiker von Rang mehr geben, der Peking mit Vorschusslorbeeren überzieht – nur weil es im Börsel klingelt. Die Duldung dieser profitgetriebenen Schonung und das taktische Verschweigen der Realität der Diktatur sind vorbei.

Servilitäts-Paraden

Zuletzt erfuhr das Michelle Bachelet, die UN-Menschenrechtskommissarin, die ihren China-Aufenthalt auf die traditionell servile Art gestaltete. Sie hatte sich zwar die Erlaubnis der Führung in Peking geholt, einen Besuch in der umstrittenen Provinz Xinjiang zu machen, in der Hunderttausende Uiguren zahlreichen Berichten und Dokumenten zufolge in Arbeitslager gesperrt werden. Aber heraus kam bei der Visite höchstens ein Skandal. Zunächst sagte Bachelet, ihr Besuch habe nicht einer Untersuchung gedient, sie habe bloß Gespräche führen wollen. Diese Unterredungen fanden tatsächlich statt und hatten zur Folge, dass Bachelet die berüchtigten Umerziehungslager als Berufs- und Ausbildungszentren bezeichnete. Sie behauptete auch, sie hätte „unüberwachten Zugang“ zu Mitgliedern aus der Zivilgesellschaft gehabt – was angesichts der in China herrschenden Überwachungspolitik wie eine Naivität ersten Rangs daherkommt.

In diesem Sinn erfuhr Bachelet nach ihrer Rückkehr einen nicht unbedeutenden Shitstorm. Selbst die jahrelang in strategischer Nichtkritik glänzende deutsche Regierung zeigte sich empört. Die plötzlich gefundene Moral des Westens hat wohl auch damit zu tun, dass China vermehrt versucht, sich autark zu machen – zum Nachteil europäischer und amerikanischer Unternehmen und Konzerne. Es ist also in diesem Bild auch eine Versuchsreihe enthalten: Wie stark bin ich? Die Antwort fällt erwartet aus. Sehr stark, so mächtig, dass es ausreicht, nichts oder wenig zu tun, um den Rest der Weltwirtschaft in eine Krise zu stürzen.

Spiel der Stärke

Dieses Experiment - so es tatsächlich eines war - wäre zwar gelungen, aber unter großen internen und externen Opfern. Die Ersten sitzen in der Ukraine und erfahren gerade, dass die neue Freundschaft Chinas mit der russischen Führung den Konflikt immer weiter eskalieren lässt. Selbst wenn die Clique um Putin mit Atomkrieg droht, wird das Peking nicht zu viel. Aber all das hat einen Haken: Europa weiß nun, dass die Globalisierung nur durch China in Gang gehalten wird. Und es wird Strategien entwickeln, die eine andere Globalisierung möglich machen. Eine exklusive etwa, die nur demokratische Nationen umfasst und Diktaturen bewusst ausschließt.

Das wären keine Sanktionen, es würde sich vielmehr um eine „verstärkte Zusammenarbeit“ handeln nach dem Vorbild eines entsprechenden Verfahrens in der EU. In diesem Fall müssten sich auf Dauer nicht die Europäer überlegen, wie sie aus der Krise kommen, sondern Peking. Denn was an Optionen für den vermeintlichen Dominator der Globalisierung bliebe, wäre eine Union mit Putins zaristischer Sowjetunion, Kim Jong-uns Nordkorea und anderen Bruderdiktaturen. Der Traum Xi Jinpings von der chinesischen Epoche würde in einem Zwergenreich enden. Und da ein solches Szenario auch die wachstumsverwöhnte kommunistische Partei Chinas beunruhigt, wird ein Rumoren lauter, das Gerüchte von tiefen Zerwürfnissen um die Zukunft Chinas zeigt. Und in diesem Zusammenhang ist eben nicht nur die EU durch Chinas Mächtigen gefährdet, er ist es auch selbst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung