Wahrscheinlich die wichtigste Wahl der Welt

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Am Freitag wählt der Iran einen neuen Präsidenten. Ein Sieg des Reformkandidaten würde die Probleme mit der Islamischen Republik nicht lösen - aber eine Lösung eher möglich machen.

Jeder Zusammenhang ist rein zufällig und völlig unerwünscht: Dass iranische Regierungsstellen in diesen Tagen Schecks über 500.000 oder eine Million Rial (37 bis 74 Euro) an arme Familien in ländlichen Regionen sowie an Studenten und Lehrer verteilen, hat laut offiziellen Angaben nichts mit den Präsidentenwahlen am 12. Juni zu tun. Inoffiziell aber sehr viel. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad wiederholt das Wahlkampfrezept, das ihn 2005 zum Erfolg geführt hat - er verteilt, mit demselben Argument wie vor vier Jahren: "Warum sollen jene, die die Revolution gemacht, im Krieg ihr Leben riskiert und die Folgen getragen haben, am Hungertuch nagen, während andere in Reichtum schwelgen?" Das Problem für den Amtsinhaber ist dieses Mal aber: Er hat nicht mehr so viel zu verteilen. Und dazu hat Ahmadinedschads desaströse Wirtschaftspolitik den größten Teil beigetragen.

Mir Hussein Mussawi, der führende Kandidat des Reformlagers und stärkste Herausforderer Ahmadinedschads, nennt die Zahlungen indessen eine Beleidigung für die Würde der Iraner und wirft dem Präsidenten Stimmenkauf vor. Und sogar der konservative Präsidentschaftskandidat Mohsen Rezaie, den ideologisch mehr mit Ahmadinedschad als mit Mussawi verbindet, pflichtet dem Reformkandidaten bei: Anstatt Geld zu verschenken, solle die Regierung lieber Arbeitsplätze für die Jugend schaffen.

Irans Jugend ist der Schlüssel zum Wahlsieg

Irans Jugend - wer die zahlenmäßig größte Gruppe unter den 71 Millionen Iranern für sich gewinnen kann, hat die Wahlen gewonnen. Um sie zu erreichen, kommen jetzt erstmals auch im iranischen Präsidentschaftswahlkampf die neuen Massentechnologien SMS, E-Mails, Blogs und Online-Netzwerke voll zum Einsatz. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem Wahlkämpfe großteils mit Ansprachen aus scheppernden Lautsprechern von Kleinlastern herab bestritten wurden. 23 Millionen oder ein Drittel aller Iraner haben Zugang zum Internet und mehr als 45 Millionen telefonieren mit Handys - und bekommen Textbotschaften der Kandidaten zugeschickt: "Wenn Du nicht zur Wahl willst, denk nur an den 13. Juni, wenn Du hören wirst, dass Ahmadinedschad gerade wiedergewählt wurde", lautet zum Beispiel eine SMS aus dem Reformer-Lager. Oder: "Stimme für Mussawi und schicke diesen Text an zehn andere. Wenn nicht, wirst Du Alpträume haben."

Die Hardliner kontern mit Botschaften wie: "Wählt Ahmadinedschad, der die Armen unterstützt" oder "Die Iraner lieben Ahmadinedschad, der ihre Würde bewahrt hat." Das Problem der Regierung ist nur: Ihre Hochburgen liegen in ländlichen Gebieten, wo es kaum Internetanschlüsse gibt und Handy-Empfang oft schwierig ist - ganz im Gegensatz zu den Städten, wo die meisten Anhänger der Opposition leben. Schon 1997 und 2001 verhalfen gerade die jüngeren Wähler in den Städten dem Reformer Mohammad Khatami zum Sieg.

Reformer, Gemäßigte, Hardliner, Konservative … - die Wahlauseinandersetzung im Iran verläuft für ausländische Beobachter entlang dieser Linien. Reza Garieb, ein Internet-Blogger zum Iran, bestreitet diese Alternativen: "Die Mullah-Lobbys versuchen mit Hilfe westlicher Medien, die Wahlen im Iran als echte Wahlen zu stilisieren", schreibt er, "aber unter dem Mullahregime gibt es keine Gleichheit, keine Geheimhaltung und vor allem keine Fälschungssicherheit der Wahl, deswegen können diese "Wahlen" ihre Aufgaben nicht erfüllen."

Garieb kritisiert die unbegrenzte Macht des klerikalen Wächterrats, der alle Kandidaten einer Überprüfung unterzieht. Dadurch kämen liberale Politiker gar nicht in die Nähe des Präsidentenamtes. Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat ihren Boykott der iranischen Wahlen im Gespräch mit der FURCHE ebenfalls so erklärt. Die Menschenrechtsanwältin erwartet sich von diesen Wahlen, wie immer sie auch ausgehen mögen, "nicht viel". Für sie gibt "es keine freien Wahlen im Iran. Wer auch nur die geringste Kritik gegenüber der Regierung äußert, hat keine Chance, jemals als Kandidat aufgestellt zu werden."

Wahlfälschungen: Tote stimmen wieder mit

Hinzu kämen Wahlfälschungen in gigantischem Ausmaß, sagen die Kritiker an dieser angeblichen "Wahlfarce". Der iranisch-deutsche Publizist Bahman Nirumand zum Beispiel bezeichnete die Wahl Ahmadinedschads 2005 spöttisch als "Wunder". Laut seinen Berechnungen verfügten die Konservativen in den Wahlen davor über durchschnittlich fünf bis acht Millionen Stimmen. Ahmadinedschad erhielt jedoch bei der Stichwahl mehr als siebzehn Millionen Stimmen! Blogger Garieb erklärt das so: Es wurden gefälschte Personalausweise - fünf bis sechs Millionen - ohne Bilder und Personalausweise Verstorbener zur Wahl herangezogen. Und er befürchtet: "Diesmal wird es nicht anders sein, weil es keine unabhängige Beobachtern gibt."

Khatami: "Verpasst diese Gelegenheit nicht!"

"Alles, was Sie über den Iran wissen, ist falsch oder zumindest komplizierter, als Sie denken", schreibt Newsweek-HerausgeberFareed Zakaria: "Iran ist keine Diktatur" und "Iraner sind keine Selbstmörder" und "Iran könnte für Verhandlungen bereit sein", sind weitere Thesen von ihm, mit denen er jenen Hoffnung zurückgibt, die wie er an eine politische Änderung im Iran im Gefolge dieser Wahlen glauben.

Irans Staatsführer, graue Eminenz und Strippenzieher Ayatollah Ali Khamenei scheint auch nicht ganz an die Wahlmanipulationen zu Gunsten seiner Kandidaten zu glauben. Bisher hat er nie offen einen Präsidentschaftskandidaten unterstützt, doch dieses Mal hat er die Iraner aufgefordert, nicht für einen pro-westlichen Kandidaten zu stimmen.

Im Gegensatz dazu hat der frühere und als Reformer gescheiterte Staatschef Khatami eine Wahlempfehlung für Mir Hussein Mussawi abgegeben: "Verpasst diese Gelegenheit nicht", sagte Khatami bei einer Kundgebung im Teheraner Asadi-Stadion vor tausenden jungen Menschen. "Indem Ihr den Namen von Mir Hussein Moussavi auf den Wahlzettel schreibt, erfüllt Ihre Eure Pflicht gegenüber der Revolution und dem Islam und entscheidet über Euer Schicksal" - und wahrscheinlich sogar über Krieg und Frieden in Nahost und darüber hinaus.

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