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Steppenfrühling

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Der Frühling der ebenen Länder ist anders als der des Mittelgebirges, ganz anders als an den Hängen unserer Berge.

Ihm fehlt das glitzernde Silbergeschmeide der noch schneebedeckten Berge, die auf das erste schüchterne Blühen niederblicken, ihm fehlt auch vor allem die Wirkung des grünen Wunders, das der Wald uns bietet, wenn Millionen von Blättern, silberha-ar- überzogen und schimmernd im leuchtenden Gelbgrün ihrer Jugend, aus den Knospen schlüpfen. Er kommt die Steppe entlang, seine Buntheit ist an die Erde gebunden, die aber überzieht er mit leuchtenden Farben, die hüllt er ein in sein tausendfältiges Blühen, als hätte er hier und in diesen paar Wochen alles gutzumachen, was die anderen Jahreszeiten der Steppe verweigern. Sie wird ja bereits braunverdorrt sein, wenn die Wiesen im Bergtal in den hohen Zeiten ihres vollen Blühens stehen, sie wird zur unendlich eintönigen, fahlgelben Landschaft, wenn wir anderswo einen lachenden und farbenbunten Sommer erleben können. Dafür aber hat sie diesen Frühling ganz für sich, ganz allein mit seinen tausendfältigen Wundern. Drüben am Horizont schimmert der weiße Turm der kleinen Barockkirche, und vor uns biegen sich ein paar Pappeln im Steppenwind. Sonst aber erhebt sich nichts über -den Horizont. Keines Hügels noch so flaches Rund bringt Bewegung in dies-e Weite. Und da fühlen wir so recht den Zauber der Steppe, der in ihrer Unendlichkeit, in ihrem Verlorensein an eine endlose Welt begründet ist. Ein Bauernwagen rattert vorbei, querfeldein, so wie man in der Steppe fährt, wo die Straßen nur für die Autobusse da sind, wenn nicht auch sie es vorziehen, manchmal über die harten Weideböden zu fahren, wo es weniger staubt oder weniger morastig ist. Die Steppe hat ja Platz, die Enge der Bergtäler, die Schmalheit ihrer Wege und das drängende Beisammensein der Gebirgsdörfer ist hier unbekannt und unvorstellbar. Groß aber sind diese Dörfer in der Ebene, größer oft als manche Stadt im Mittelland oder im Gebirge. Denn hier steht kein Haus abseits und einsam, hier gibt es keine Einzelgehöfte mehr, sondern nur geschlossene Siedlungen. Die Einsamkeit der Steppenlandschaft zwingt die Menschen zueinander, läßt die Großdörfer entstehen. Das Bild all dieser Ortschaften und Siedlungen ist fast einheitlich: schlichte, einfache Barockkirchen, barock auch die Zieraten -an den niedrigen Giebelfronten der schi'lfgedeckten Häuser.

Nun fließt der goldene Schein der Morgensonne über die weite Ebene. Ein unbeschreiblicher Zauber umgibt so ein Sonnensteigen oder Sonnensinken in der Steppe. Da fehlen die Hügel des Horizonts, die sonst das Tagesgestirn hinter ihre Kulissen vergehen lassen, hier erlebt man das Verschmelzen oder Loslösen mit der Linie des Horizonts, man sieht das volle Licht über die ebene Landschaft fluten, ungebrochen vom dämmernden Halbdunkel der Wälder, und nur die Grasbüschel werfen ihre Schatten, so lange die Sonne tief steht.

Auch jetzt schon, in diesen Frühlingswochen, können wir es erleben, daß mittags die paar Robinienbäume des nächsten Meierhofes, die man am Horizont sehen kann, in der Luft zu zittern beginnen, daß sie sich loslösen vom Erdboden! Und ebenso wie der weiße Kirchturm des nächsten Dorfes, scheinen sie zu schweben: das Gespenst der Fat-a Morgana erhebt sich über dem wärmestrah'len-den Boden der Steppe.

Hier aber blüht es nun in bunten Farben! Noch stehen die schwarzvioletten „Osterglocken“ im weichen Sand der Winddünen, eingehüllt in den dichten, silberschimmernden Haarflaum ihres Pelzes. Weiße Ane monen blühen daneben und die dichten Büsche der vielfarbigen Wolfsmilch. Im grellen Gelbrot leuchten ihre großen Blütendolden weithin in der grellen Sonne. Weißlichgrün stehen die stachelbewehrten Blätter der Männertreu daneben, die, ein echtes Kind der Steppe, im Herbst dann als „Steppengespenst" übers Land rollt, ihre Samen ausstreuend, nach dem Prinzip einer Sämaschine. Die violetten Glockenblumen, die im Spätsommer erst ins Blühen kommen, wenn die Steppe zu einem zweiten, kurzen Leben erwacht, treiben ihre weißfilzigen Blättchen aus, und ein ganzes Heer von goldgelben Fingerkräutern säumt die Wegränder ein.

Es sei ein volles, ein wundersames Blühen, das uns die Steppe jetzt im Frühling überall zeigen kann. Das Steppengras, das ja immer zart und dünn bleibt, ist durchwirkt mit dem zarten Himmelblau der frühen Ehrenpreise, und an den. heißen, steinigen Böschungen decken Tausende von winzigen, weißen Sternchen den trockenen Boden, das ist das Frühlingshungerblümchen. Dazwi schen schlängelt sich der fettblättrig Mauerpfeffer und blüht der wilde Thymian in weichen, rotvioletten Polstern; sein zarter Duft schwebt ständig in der Luft der Steppe. An den ganz sanften Hängen aber, die die Landschaft bilden, da drängen sich in unvorstellbarer Fülle, die echtesten Kinder der Frühlingssteppe, die Zwergschwertlilien zusammen. Reines Gelb, wundersames Blond und tiefes sattes Violett zeichnet ihre Blüten aus, die groß und unwirklich, uns Mitteleuropäer seltsam fremd und märchenhaft anmutend, im Steppengras stehen. Des Adonisröschens große, gelbe Order® sterne sind ganz an den Boden gepreßt, hin und wieder aber ragt auch die Knospe einer wilden Pfingstrose auf, die in Bälde ihr brennrote Blühen in die Landschaft malen wird.

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