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Die Steppenblume

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Du wirst über die fahlbraunen, sommerdürren Hänge gehen und sie kaum beadiren. Sie ist den prangenden Schwestern, den farbenbunten, nicht ähnlidi, die jetzt in allen Gärten blühen und in allen Vasen prangen. Auch den Bergastern gleicht sie nicht, deren leuchtendes Violett von den saftigen Grasflächen der Felsstufen winkt, und nicht der zierlichen Buschaster, die nun in allen Tönungen am Gartenweg erglüht. Sie ist ruppig und zausig, wie es alle Kinder der winddurchkämmten russischen Steppe sind, ihre Blüten sind winzig klein und stehen in un-ordentlidien Büsdieln beisammen. Doch sie kündet den Steppenherbst, der die Landschaft der weiten Ebene verzaubert und sie aufglühen läßt in den immer kälter werdenden Tagen des Vergehens. In ihrem goldmatten Gelb leuchtet die Sattheit der Sonne wieder, die einen Sommer lang über dem flachen Land stand und es glühen machte.

Jetzt ist die Hitze geschwunden und die Risse im Boden sdiließen sich im sprühenden Herbstregen dieser seltsamen Landschaft. Die im ersten Frühling grün war und blühte in allen Farben der Blumenwelt. Die dann ins fahle Gelb der sonnenverbrannten Gräser versank und erst wieder farbig wurde, als sich die ersten Nachtnebel in weißen Sdiwaden zusammenzogen. Da glühten die Flockenblumen auf und die späten Tragante, das Blau der sibirischen Glockenblume leuditete über den schmalen Blättern, und, alles überragend, stand mitten drinnen das „goldene Zepter“ der Steppe, der gelbe Lauch.

Das ist die Zeit, da sie den süßen Sandwein ernten und in die weitläufigen Steppendörfer heimführen, da sie den goldfrüchti-gen Mais von den Feldern holen und in die hohen Holzkästen lagern, die an den staubigen Dorfstraßen stehen. Über die gilbende Grassteppe zieht das Weidevieh, und die trübe Sonne bricht oft erst gegen Mittag durch die ostwärts ziehenden, dunklen Wolken. Auf den Sodaflädien draußen, die weiß in der Sonne leuchten und mit graukörnigem Salz überzogen sind, färben sich in diesen Wochen die kargen Meldenbüschel tiefrot, und im Morgendämmern ziehen die wilden Gänse übers Land. Länger werden die Mittagschatten und die mondlosen Nächte. Das Steppengespenst rollt ' a Winde

über die endlose Heide: in Riesensprüngen setzt es über die Mulden und Gräben hinweg und raschelt gegen Busch und Staude.

In diesen Tagen ist nichts mehr im Land an blühendem Leben als das milde Gold der Steppenaster und das fliederhelle Leuchten der Strohblume. Wie Pergamentpapier knistern diese seltsamen Blüten, die alle Trockenheit und Dürre der Steppe in sich aufgenommen haben und selbst im Leben schon tot und unwirklich scheinen. Auf weiten Flächen malen sie helle Tupfen in düsteres Braun der Ebene, die auf den “Winter wartet.

Die gleiche Stimmung entströmt diesen beiden letzten Blumen des Steppenjahres, wo immer du sie auch schaust. Das mag am Ufer des Schwarzen Meeres sein, hoch über dem gelben Steilabfall der sonnentrunkenen Silberküste oder auf den ausgeglühten Hochflächen der Dobrudscha. Das mag in der verschwimmenden Weite der Dnjestrniede-rung sein oder auf den bleichen Kalkhügeln Mittelpolens, im weiten Bogen der Weichsel. Audi in der Theißebene ist das Bild nicht anders, und ebensowenig ändert sich daran, wenn du auf den hochragenden Inselbergen Südmährens wanderst und weit ins flachwellige Ackerland schaust. Zu deinen Füßen aber schimmert es goldgelb und lilafarben im welken Gras: Steppenaster und Strohblume!

Am schönsten aber wirst du die goldfarbige schüchterne kleine Aster dort finden, wo sie als letzter Bote der ^verklingenden Ostlandschaft an den Rand unserer Heimatberge tritt. Wo du in ihrem Anblick ins Träumen von ferner Steppenfahrt versinkst und im Augenöffnen doch die Heimatdörfer vor dir siehst, die geliebte Stadt im Tal und den dunklen Hochwald auf Bergkämmen. Und wenn du ihr dann ganz nahe kommst, dann wirst du das wunderbare Wesen ihrer Blätter erkennen„ die alle nach der Sonne schauen und schräg zum Tagesgestirn emporzeigen.

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