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Baumgestalten

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Irgendeinmal qm Beginn der Fasten kommt der Abend, der einen neuen Zwischenakt heraufführt. Dann ist die Luft dicht von etwas Unbekanntem, auf das man wartet. Die Dämmerung zögert. Verheißung glimmt im roten Licht.

Im Buschwerk lärmt die Amsel, als wollte sie den Tag zurückrufen. Wie sich die dunkle Gestalt vom Boden losreißt und zu Baume fährt, reißt sie den Blick mit sich. Dort oben sitzt sie gestochen scharf, umgeben von schwarzem Linienigeriesel. Dann stiebt sie fort mit gellendem Gezeter. — Noch lang hernach hängt das Auge gebannt am grellen Gegensatz von finsterem Astgewirr und lichtem Raum und — es ist sonderbar — was man an dem grün verhüllten und auf dem weiß vermummten Baume nicht erfaßte: die Regellosigkeit entwirrt sich zur geschlossenen Form, wird zur begrenzten Einheit. Man sieht den Baum und ringsum sieht man viele dunkle, wartende Gestalten. Sie stehen da in sich gekehrt. Gespenstisch starren sie in verhohlener Lebendigkeit. Der Februar- aibend lockert ihr Geheimnis.

In dieser Zeit begegnet man den Baumgestalten überall. Sie treten vor. Sie herrschen in der Landschaft. Man erlebt sie anders als sonst, denn alles hat ein anderes Gesicht. — Weich ist das Licht und ungewiß. Es kommt der Tag der Schatten risse. Die lebenden Zäune drängen an den Weg in dunkler Leere. Vom Grabenrande tropft es und die Spiegelmeise läutet. Da erscheinen die Bäume in zwiefacher Gestalt. Das Auflięht trifft ihr kahles Geäst. Man gewahrt, daß sie es sind, die in diesem Land schwarzweißer Widersprüche das Licht erstmalig umschalten in sanfte Farben: in Altgold, Mattsilber, Seidengrau und Ockergrün. Vom rauhen Ast strahlt es zurück als Buntheit und als Wärme. — Das Gegenlicht aber weckt ihre Formgesetze. Über den Hügelkamm türmen sich die schweren Gebäude der Eichen. Am Mühlbach wollen sich die Koboldsgestalten der Eschen und der Weiden rühren. Die Linden am Dorf, die Apfelbäume im Anger lösen sich aus der Umgebung. Durch dia dunklen Umrisse wandert das bewegte Luftbild, leichtes Gewölk, wasserblaus Himmelsfahnen. Noch umfängt sie ein Traumzustand. Ihr Sein ist nach innen gewendet. Als sie in grüner Zeit sich an die Außenwelt verloren hatten im unbändigen Drang nach Licht, war ihre Gestalt gelö't, wie ausgegossen. Der Schnee hatte später ihre Umrisse verschleiert. Jetzt, im Verzicht auf alles Äußerliche, geben sie einen Schimmer ihres Wesens preis. Sie lassen ihre Formkräfte erkennen. In weiten Regeln eingefangene Vielfalt macht sich geltend, Aus dem weichen Hintergrund des Februarhimmels springen di Rinnsale schwarzer Zweige. Sie sammeln sich in dunklen Gabelungen, münden als Hauptverzweigungen im Stamm. Sind das nicht verdichtete ' Fließformen, Nadibildungen reicher Flußsysteme, Bäche, geleitet vom Eigenwillen des Geländes, bald steil, bald flach verlaufend, rasch abfallend in geradem’ Lauf, jäh abbrediend in Kaskaden, ausschwingend in barocken Windungen, in gewagten Schlangenlinien? Hundertfach erscheint die Abwandlung des Entwurfes.

Befiehlt hier die Laune? Es leitet das Gesetz die Art. Es vollendet sich nach vor- geschriebencm Maß im Entfaltungstrieb. Es lenkt die Anpassung an die Willkür verschiedener Lebensräume. Da liegt der

Grundplan klar zutage, dort verbirgt er sich unter Abweichung von der Norm, hervorgerufen durch Heilungsvorgiang oder im Ausgleich von Entwicklungshemmung. Vielerlei Kräfte modeln an der Gestalt.

Am Waldrand drängt sich Baum an

Baum. Die gleiche Not, das gleiche Ziel erzwingt dort Ähnlichkeit der Wadistums- formen. Raummangel verzerrt die Artgesichter. Anders im Freistand. Dort ist Licht und Weite. Im Anger, am Hügel, im offenen Tal erfüllt sich der Drang nach edler Form. Ist es Zufall, daß Linde, Ei die und manch anderer Baum in Zweigverlauf und Umriß, die ins Riesenhafte vergrößerte, ins Räumliche gesteigerte Blattspur wiedergeben? Daß die runde Äpfelkrone, daß die Glockengastalt der Birnbäume ein Abbild der Frucht zu geben scheinen? Alle Formäußerungen des Baumes muß ein einheitlicher Plan durchziehen. Aus den anspruchslosen Schattenrissen, die sich still dem wachsenden Lichte hingeben, spricht die Ahnung geistvoller Entwürfe. Es liegt darin ein Stilgesetz, verfolgbar bis in letzte Teile. Sind es Kristallgesetze aus unorganischer Starrheit gelöst, ins Organische erhoben und erweitert? Eine Geometrie des „-.Lebendigen, dem Leben als Werkzeug zug feilt, gelok- kert in der Fähigkeit sinnvoller Antwort an die Umwelt. — Wo ist die Idealgestalt, das Vorbild? War sie einmal oder wird sie einmal sich verwirklichen? Der Geist kann versuchen, sie aus tausend Vertretern der Art zu erschließen durch Losschälung von zufällig gewordener Entstellung.

Aber auch bei den gewachsenen Formen fehlt es nicht an Schönheit, an Wundern der Vollendung im einzelnen. Staunen erfaßt jeden, dem zum erstenmal der Stufenbau des Baumes bewußt wind. In den Ästen erkennt man das Abbild der Vollgestalt, in einer Richtung ausgebreitet, im Zweig das Ebenbild des Astes. Ein architektonischer Einfall durchformt das ganze Wesen bis in die Winterknospen, die jetzt das dunkle Rutenwerk aufrauhen. Als Schmuckgebilde übersäen sie alle Zweige, als Lanzen, Speere, Pfeile, Kegeln, Kugelformen. In ihrer zier- haften Einfachheit umsdiließen sie das Ganze. Sie bewahren das Geheimnis des Baumes. Zusammengedrängt auf kleinstem Raum schlummern hier in klarster und dem Idealen naher Form die Vorlagen für Wachstum und Verzweigung. Aus ihnen soll die Baumgestalt sich erneuern. Hier soll sie sich spiegeln in der Lichtanpassung des Laubes, im Kronenschmuck der Blütenstände, in der Selbstentäußerung der Frucht. Darin verborgen harren alle Möglichkeiten der Berührung des Geschöpfes mit Zeit und Raum. Hier schlafen künstlerische Form und die schöpferischen Gegensätze polarer Spannung. Die geheimen' Kräfte warten auf dis Stichwort, auf das Zeichen zur Entfaltung.

Noch ist es nicht so weit. Noch sind die Bäume bei sich selbst. Die Spiegelmeise hat allein das Wort. Sie dichtet. Der Schnee wird rauh und Feuchtigkeit zieht in den Grund. Am Waldrand geistert das Harfenspiel der blassen Sonne. Wenn der Tag sich neigt, füllen glasgrüne, taubenblaue, blutrote Scheiben das Maßwerk der entlaubten

Kronen. Die Baumgestalten warten. Sie möchten sich vollenden. Der März steht vor der Tür. — Vielleicht singt heute abend schon im Schattenriß das Apfelbaumes die Amsel.

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