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Goethes Gedankenwelt
Ein Tier mit Klassikern nennt Ortega y Gasset den heutigen Menschen. Aber in der gegenwärtigen Lebensnot bleibe vom Bilde der Klassiker nur leeres Gerede und Getue, ein Schatz entwerteter Münzen. Das war 1932 richtig, als es gesagt wurde, und ist heute nicht weniger wahr, da die innere Lebensnot sich noch vergrößert hat. Mehr denn je ist es daher auch unsere Pflicht, den Vorschlag zu verwirklichen, den der Philosoph machte: „Die Klassiker wieder ins Leben einzubeziehen, neues Leben in sie einströmen zu lassen, mit dem Blut aus unsern Adern, das aus unseren Leidenschaften besteht und aus unseren Problemen.“
Der Band Nr. 208 der Piper-Bücherei enthält einen gelungenen Versuch, einen unserer Klassiker in das Leben einzubeziehen und wieder in uns wirksam werden zu lassen. Die sieben Kapitel, an deren Hand der Leser einen Ausflug in Goethes immer wieder fruchtbar werdende Gedankenwelt unternimmt, sind nicht bloß geschickte Zusammenstellungen passender und interessanter Aussprüche zu vorangestellten Überschriften, sondern durchkomponierte organische Gebilde, die selbst schon wieder als kleine Kunstwerke empfunden werden. Zwei weitere Abschnitte, über Kunst und Politik, die man vermißt, hätten wohl das ohnedies „drei-punktige“ Bändchen zu sehr anschwellen lassen.
Was Richard Benz, der berühmte Übersetzer der Legenda aurea, in seiner 17 Seiten umfassenden Einführung zum Thema „Das Vorbild Goethes“ an Bedeutungsvollem zu sagen und wie er es formuliert hat, ist allein schon Grund genug zum Kauf. Von diesem Gelehrten, der Goethe rühmt, Denken und Tun als die Summe aller Weisheit angesehen und darnach gelebt zu haben, möchte man gerne ein Wort zu Ortegas Vorwurf hören, der Olympier habe nicht genug getan, indem er nur einfach tätig war und dabei versäumte, sich selbst zu machen. Gerade dadurch freilich werde er für uns zum entscheidenden Mahner: Befreie dich von dem anderen zu dir selbst.
Daß die von der Vermassung bedrohte menschliche Persönlichkeit heute dieser Mahnung bedarf, wird niemand bezweifeln.
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