Prunksaal - © Foto: Österreichische Nationalbibliothek

„Kunst muss primär empfunden werden“

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Beethoven bewegt sowohl Thomas Leibnitz, Direktor der Musiksammlung der ­Österreichischen Nationalbibliothek, als auch Andreas Kugler, stellvertretender Direktor des Theatermuseums. Ein Kuratorengespräch.

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Beethoven bewegt sowohl Thomas Leibnitz, Direktor der Musiksammlung der ­Österreichischen Nationalbibliothek, als auch Andreas Kugler, stellvertretender Direktor des Theatermuseums. Ein Kuratorengespräch.

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Zuerst eine Beethoven-Ausstellung in der Österreichischen ­Nationalbibliothek, dann eine im Kunsthistorischen Museum. Beet­hoven aus zwei Perspektiven. So war es geplant. Das Coronavirus hat diese Idee wie vieles andere vereitelt. Die ursprünglich bis 19. April vorgesehene Exposition in der Nationalbiblio­thek hat ihre Pforten geschlossen, geht aber ab 29. Mai in die Verlängerung, die ab Ende März vorgesehene im KHM ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie aber ist es überhaupt zu diesen zwei Ausstellungen anlässlich des 250. Todestages ­Ludwig van Beethovens gekommen, und wie haben sich die Kuratoren beider Expositionen, Thomas Leibnitz und ­Andreas Kugler, diesem Thema genähert? Ein Gespräch.

DIE FURCHE: Selbst in einem Beethoven-Jahr sind zwei große Beethoven-Ausstellungen eine Rarität. Wie ist es dazu gekommen?
Thomas Leibnitz: Den Plan zu einer Beet­hoven-Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek gibt es schon seit längerer Zeit. Dass in einem so prominenten Jubiläumsjahr das Thema mehrfach behandelt werden würde, war uns klar. Aber es ist wohl nichts dagegen einzuwenden, weil die Ausstellungen unterschiedliche thematische Akzente setzen.
Andreas Kugler: Beethoven ist eine der großen, international prägenden Gestalten der Musik- und Kulturgeschichte, damit im Jubiläumsjahr ein Thema, dem sich auch das Kunsthistorische Museum als das größte Museum Österreichs stellt. Museen sind Schatzhäuser, Archive, kulturelles Gedächtnis und Touristenmagnete, diskursive Reflexions- und Konfrontationsräume, Laboratorien der Fantasie und Gedankenverbindung. Unsere Ausstellung präsentiert hunderte Werke, die exakt­ bis zur Lebenszeit Beethovens her­aufreichen und hinführen, sie zielt auf den Kontext von Kunst und Kultur mehrerer Jahrhunderte.

DIE FURCHE: Der eminente Beethoven-­Kenner Martin Geck plädiert in seinem letzten Buch, „Beethoven hören“, dafür, mehr seine Musik zu hören als zu analysieren. Kann man Beethoven überhaupt ausstellen, mehr noch: Lässt sich ­Musik überhaupt in ein Ausstellungsformat pressen?
Leibnitz: Nein, man kann es nicht. Auch wenn wir mehrere Originalpartituren zeigen, sind diese nicht „die Musik selbst“, sondern nur schriftliche Ausführungs­anweisungen. Das ist, was Ausstellungen betrifft, ein großer Unterschied zur bildenden Kunst, die im Wortsinn die „Werke selbst“ zeigen kann. Unsere Ausstellung wendet sich an Menschen, die Beethovens Musik bereits kennen und lieben und in schriftlichen Originaldokumenten Neues über den Menschen Ludwig van Beethoven erfahren wollen.
Kugler: Martin Geck hat recht! Aus­stellungen müssen sich allerdings weder der Präsentation der eigenen Schätze verpflichten, noch verstehen wir sie richtig, wenn wir sie als Belehrungsparcours begreifen. Im Kern steht eine spezifische Form der Begegnung mit Kunstwerken und anderen Inhalten. Ihre elementare Aufgabe ist, Zugänge zu ermöglichen und offenzuhalten, wobei die individuellen Empfindungen und Assoziationen an keine Bedingungen geknüpft sind, aber von persönlichen, auch momentanen Voraussetzungen bestimmt werden. Unsere Beet­hoven-Ausstellung versucht, die Begegnung mit der Musik und Person des Jubilars durch aufwendig inszenierte Räume und Werke der bildenden Kunst vielstimmig zu bereichern. Wir bewegen uns damit nicht auf bewährten Schienen, sondern versuchen Ungewohntes.

DIE FURCHE: Herr Leibnitz, sind Sie im Zuge der Ausstellung auf Objekte gestoßen, die Ihnen noch unbekannt waren, und warum hat man die Schau noch mit einem Teil des Originalmanuskripts der „Neunten“ aus der Staatsbibliothek zu ­Berlin ergänzt?
Leibnitz: Auch als langjähriger Leiter einer Bibliothek stößt man bei der Vorbereitung eines bestimmten Themas auf Objekte, die man noch nicht kannte oder von denen man nur in oberflächlicher Weise wusste. Eines der Kapitel, mit denen ich mich konkret befasste, handelt von Beet­hovens Verhältnis zu seinem Neffen Karl. Da kam mir ein Brief in die Hände, den der Leiter des Erziehungsinstitutes, in dem Beethoven den Neffen untergebracht ­hatte, 1816 an Karls Mutter schrieb und in dem er ihr Besuche bei ihrem Sohn verbot. Solche Stücke sind unmittelbar berührend. Besucher einer Beethoven-Ausstellung erwarten sich wohl die Begegnung mit dem Original einer Symphonie. Da wir in der ÖNB keines verwahren, halfen uns die Berliner Kollegen in liebenswürdiger Weise aus.

DIE FURCHE: Im Umfeld dieser Ausstellung in der Österreichischen National­bibliothek kam es zu einer umfassenden ­Digitalisierung der Beethoven-Bestände. Wie kann man diese nutzen, und hat, Herr Leibnitz, diese Ausstellung Ihr Beet­hoven-Bild verändert?
Leibnitz: Den Einstieg in die digitalen Bestände der Nationalbibliothek findet man auf unserer Website (onb.ac.at). Man kann dort Originalhandschriften, Briefe, Erstdrucke etc. durchblättern, wie wenn die Originale vor einem lägen. Mein Beet­hoven-Bild hat sich durch die Ausstellung nicht grundsätzlich verändert, aber doch geschärft. Beethoven war eine sehr kantige Persönlichkeit, auch wenn man dies weiß, ist man doch von einigen konkreten Ausformungen seines ­Charakterprofils verblüfft, wie etwa seiner spürbaren Hochachtung gegenüber zeitgenössischen Literaten.

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