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„Es ist fast Wie im Beichtstuhl!“

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Kurzschlußhandlungen unter Jugendlichen sind gerade angesichts eines schlechten Zeugnisses häufig. Der in Linz von der katholischen und der evangelischen Kirche gemeinsam betriebene „Notruf hat diesem Problem durch die Einrichtung eines eigenen „Schüler-Notrufs“ zu Beginn der Semesterferien Rechnung getragen. Die Telefonseelsorge, die in Österreich seit zwölf Jahren im Einsatz steht, ist damit, wenn zunächst auch nur in Linz, um eine Aufgabe reicher. In Wien allein hat sie mit 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern im Monat über 1000 Anrufe zu bewältigen.

„Es ist fast wie im Beichtstuhl“, meint Margarethe Skoda, die seit 14 Monaten Leiterin der am Stephansplatz angesiedelten Wiener Stelle ist. „Gute Ratschläge“ - das ist zuwenig, man will eher konzentriert helfen: unter der Rufnummer 52 52 24 ist in Wien die Möglichkeit geboten, sich auszusprechen, Rat zu erfragen, einfach jemanden zu haben, der einem zuhört - eine kleine Sensation heutzutage. Es wird versucht, zu vermitteln: deshalb auch regelmäßige Informationsabende für Mitarbeiter über die sozialen Einrichtungen im Wiener Raum.

Am Freitagabend ist Hochkonjunktur; da fürchten sich die meisten Kontaktlosen vor dem inhaltsleeren Wochenende, sie haben Angst, einsam zu sein, niemanden zu haben. Da ist Hochbetrieb. In der Nacht melden sich viele Menschen, Wetterfühligkeit spielt da eine große Rolle. Die Altersgruppe der häufigsten Anrufer liegt im Bereich des „Zweiten Frühlings“, der Wechseljahre: Vierzig- bis Sechzigjährige greifen anscheinend öfter zum Hörer als andere, denn „heutzutage wird sowohl für Jugendliche als auch für Pensionisten etwas getan“, der Kreis jener, die dazwischen liegen, ist sozial unterversorgt.

Als 1953 der anglikanische Geistliche Chad Varah in Großbritannien

neue Wege der christlichen Betreuung zu beschreiten versuchte, war an eine weltweite Organisation noch kaum zu denken. Heute ist im technisierten Zeitalter alles denk- und durchführbar: 1966 gab es in Linz und Wien erste voneinander unabhängige Bestrebungen zur Schaffung einer österreichischen Institution dieser Art. Sieben Städte verfügen mittlerweile über ein Service, das Probleme vieler Art zu bewältigen versucht. 1976 - anläßlich des zehnjährigen Bestandes - wurde für Linz und Graz eine Statistik aufgestellt: Einsamkeit und Isolation sind der häufigste Grund für den Griff zum Hörer, dicht gefolgt von psychischen Problemen.

Der in katholisch-evangelischer Zusammenarbeit geführte Notrufdienst ist auf ständiger Suche nach ehrenamtlichen Helfern, deren Ausbildung in Gesprächsführung kostenlos ist. Wenn schon Zeit aufgewendet werden muß, so ist zumindest das Finanzielle geregelt.

Die Kosten für die Aufrechterhaltung des Betriebes sind hoch: sie belaufen sich allein für die Fahrscheine der Mitarbeiter in Wien auf 20.000 Schilling. Weitere 70.000 Schilling im Jahr betragen die Telefongebühren in der Bundeshauptstadt für die drei Tag und Nacht zur Verfügung stehenden Leitungen sowie für ein Schaltgerät. Katholische Telefonseelsorge, Evangelische Telefonseelsorge, Telefonseelsorge, Notrufdienst, unter all diesen Stichwörtern steht die Fernsprechnummer im Telefonbuch. Wünschenswert wäre es, wenn auch auf dem Umschlag des Telefonverzeichnisses neben Vorschauen des Trabrennvereines und Sport-Toto-Meldungen diese Nummer aufschiene. Bei tausend Anrufern im Monat wäre dies ein verständlicher Wunsch.

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