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Flaute in der Ideologie- Diskussion

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An der Grundsatzdiskussion über den Programmentwurf für das neue sozialistische Parteiprogramm werden zigtausend Österreicher teilnehmen. Solches konnte man vor wenigen Wochen im Rahmen des Bundesparteirates der Sozialisten vernehmen.

Die vieltausendköpfige Schar wird an der Grundsatzdiskussion bestimmt nicht teilnehmen. Sie wird ihr wie bisher fembleiben. Allerdings nicht aus Gründen, die irgendwo im Einflußbereich der Sozialisten zu suchen wären. Auch der Volkspartei konnte es bisher einfach nicht gelingen, eine wirkliche Bewegung in die Grundsatzdiskussion zu bringen; es konnte ihr nicht gelingen, eine Diskussion zu entfachen, die diese Bezeichnung auch verdient.

Diskussionen um die politischen Grundwerte, um den Stellenwert des Menschen in der modernen Gesellschaft leiden speziell in Österreich seit Jahren unter einer bemerkenswerten geistigen Flaute. Wenn auch die politischen Parteien der siebziger Jahre wenig gegen diese Flaute unternehmen, ist doch in erster Linie festzuhalten, daß die Wurzeln dieses Phänomens bis zu den Anfängen der Zweiten Republik zurückreichen.

Die politisch Interessierten Österreichs sind gewiß nicht dümmer als anderswo, sie tragen aber immer noch die von Eltern, Schule und Erziehung überlieferten bösen Erfahrungen hinsichtlich der sinnlosen politischen Kämpfe der Zwischenkriegszeit in sich, sie erinnern sich genauso der Uber-Ideologie des makellosen Herrenmenschen, hinter dessen trügerischer Fassade sich die ganze Hybris menschlicher Niedrigkeit und Brutalität versteckt hielt. Und in den Jahren nach dem Krieg war es dann nur selbstverständlich, daß das gemeinsame Ziel des Wiederaufbaus alles ideologisch Trennende in den Hintergrund rückte.

Daraus soll nun nicht ein falscher Schluß gezogen werden. Es hat sein Gutes an sich, wenn das Beziehen klarer Grundsatzpositionen nicht mehr in blinden Fanatismus ausartet; wenn dem Engagement und der Zivilcourage auf der einen Seite Respekt und Toleranz auf der anderen gegenüberstehen; selbst die Ignoranz der Friedliebenden ist der Indolenz der Streitbaren vorzuziehen, wobei, wie die Geschichte lehrt, das eine ins anderę leicht umzuschlagen imstande ist.

Mir persönlich ist es tausendmal lieber, wenn sich der in vielen Menschen schlummernde Fanatismus vor den Füßen eines Karl Schranz, Niki Lauda, oder wie sie alle heißen, entlädt und dafür Bruno Kreisky und Josef Taus von diesen in einer Demokratie besonders peinlichen politischen Auswüchsen verschont bleiben.

Daß die Masse der Wahlberechtigten Österreichs dem politischen Handeln der gewählten Volksvertreter mit einem gesunden Mißtrauen und einer Portion lustloser Skepsis gegenübersteht, mag per saldo also gar nicht so schlecht sein. Die Frage ist aber doch, ob es nicht wünschenswert wäre, daß nach den (auch) ideologischen Faustkämpfen der Ersten Republik und der bis heute andauernden Phase der politischen Schönheitskonkurrenzen unsere an sich noch recht junge Demokratie einmal jenes Niveau erreicht, auf dem es möglich ist, grundsatzpolitische Auseinandersetzungen um „Subsidiarität“, „Föderalismus“, „Freiheit“ oder „Gleichheit“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses Niveau könnte auch den Parteien die Stärke geben, ihre Positionen so zu umreißen, daß auch der in Grundsatzdiskussionen nicht Bewanderte, Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien zu erkennen vermag.

Was derzeit leider nicht der Fall ist: Typisches Beispiel ist der neue Programmentwurf der Sozialisten, der knapp daran ist, den Anspruch aufzugeben, ein eigenständiges, exklusives Gedankengut zu repräsentieren. Denn Sinn und Zweck des Vorhandenseins verschiedener Parteien sollte sich ja nicht mit der Verschiedenartigkeit der führenden Politiker erübrigen. Wenn das endgültige SPÖ-Pro- gramm noch einmal so stark verwässert werden soll, wie der jetzige Diskussionsentwurf gegenüber dem ersten Programmkatalog verwässert wurde, dann müßte die SPÖ entweder wegen Preisgabe eines eigenständigen Gedankengebäudes aus dem Vereinsregister gestrichen werden* oder ihre Vorsitzenden wählen die Alternative, ihre Partei als den ÖAAB ergänzende Teilorganisation in die ÖVP einzuglie- dem.

Aber auch abgesehen von den Parteiprogrammen ist eine gewisse Konvergenz der Positionen hin zu einer unverbindlichen Mitte zu erkennen. Als jüngstes Beispiel auf dieser Linie können die Aussagen’von SPÖ-Mann Heinz Fischer und jene des ÖAAB- Vorsitzenden Alois Mock zur Beziehung zwischen den Grundwerten Freiheit und Gleichheit gewertet werden. Einem unbefangenen Leser der diesbezüglichen Darstellungen dieser beiden, verschiedenen Lagern angehörenden Politiker kann es einfach nicht mehr möglich sein, auf Anhieb klare Unterschiede oder gar Gegensätze zu erkennen.

Wer heute in Österreich an einer politischen Grundsatzdiskussion teilnehmen will, dessen Aufnahmebereitr schaft wird von den Parteien überfordert, die alle zu 90 Prozent dieselben Ziele verfolgen. Da aber seit Grillparzer die Österreicher halben Zielen stets nur mit halben Mitteln zustreben-, ergibt sich für die Parteien „völlig legal“ doch wieder ein erheblicher Handlungsspielraum, der bisweilen sogar Verstöße gegen die eigenen Grundsätze als ausgesprochene Grundsatztreue erscheinen läßt. Was auch nicht zur Entwirrung der Lage beitragen kann.

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