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Schiffsschraube fur Kolumbus

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Zwar stehen in Moskau vor Konstantin Mjelnikows Werk, dem Sarkophag Lenins im Mausoleum auf dem roten Platz, Tag für Tag Menschenschlangen. Aber Mjelnikow selbst ist heute fast ein Unbekannter, ein Vergessener, einer jener Unbequemen, die in der Stalin-Ära mit Berufsverbot belegt worden waren. Nun zeigt die Wiener Galerie nächst Sankt Stephan eine hervorragende Photodokumentation seiner wichtigsten Werke, die in der Geschichte der konstruktivistischen Architektur einen hervorragenden Platz einnehmen.

1890 geboren, gehört Mjelnikow von Jugend auf zu den Verschworenen der neuen Kunst: Larionow, Tat-lin, die Gontscharowa sind in der von Leonid Pasternak geleiteten Schule seine Kollegen, die auf ihn enormen Einfluß ausüben. Mjelnikow zählt von Anfang an zu den besonders Begabten, in der Schule, in der Malerei, die ihn allerdings weniger interessierte, dann ab 1914 als Architekt. Mit dem Aufbau des Staates nach dem Bürgerkrieg wuchs auch die Begeisterung für das Ideal des „neuen Menschen“: der kühne Mjelnikow wurde vom Stadtrat 1921 beauftragt, preisgünstige Wohneinheiten zu entwerfen, 1923 folgten größere Projekte, zum Beispiel des Zeitungsgebäudes der „Leningradskaja Pravda“. Nach längerem Aufenthalt in Paris kehrt er mit neuen Plänen zurück: Garagen, Arbeiterklubs der NEP-Industrie, Industriebauten festigen seinen Ruf. Er beschäftigt sich intensiv mit Lichtprojekten: Ein Riesenspringbrunnen im Gorki-Park wird zum konstruktivistischen Leitbild von Licht, Wasser, Luftraum.

Das Utopische gewinnt jetzt in Mjelnikows Arbeiten an Bedeutung: 1929 fasziniert ihn der Plan der PanAmerika-Union, in Santo Domingo ein Kolumbus-Monument errichten zu lassen, das 500 Meter hoch werden sollte. Mjelnikows Beitrag ist der Gipfel kühner Architektur der beginnenden 30er Jahre; als eine Art Schiffsschraube konstruiert, kehrt der Turm einen von Mjelnikows Lieblingsgedanken hervor: programmatischen Ideen zu folgen. Wie etwa sein Moskauer Kammertheater, in dessen Struktur die Form von Filmrollen integriert ist, um die „Ketten zwischen der Dynamik des Kinos und der Statik des Theaters zu zerbrechen“; oder der Mammut-Zikku-rat, den er für das Hauptquartier des Kommissariats für Schwerindustrie auf dem Roten Platz in Moskau plante. Jedenfalls lösten gerade diese Superprojekte heftigste Attacken aus. Formalismus wurde ihm vorgeworfen.

Denunzierungen von Neidern verhinderten Mjelnikows letztes Projekt eines Appartementhauses, das noch über seine Ideen für Rekrea-tionszentren und für die Uferanlagen der Moskwa weit hinausgingen. 1939 wurde er auf Stalins Befehl isoliert, zur Aufgabe seines Berufes gezwungen; er zog sich zurück in seine private Welt der Malerei.

Erst in jüngster Zeit wurden seine Projekte in der UdSSR wieder ausgestellt. Sein Versuch, sich 1961 mit einem Entwurf für den Sowjet-Pavillon der New Yorker Weltausstellung zu rehabilitieren, scheiterte am mangelnden Interesse der Behörden. Nun lebt Mjelnikow in seinem 1927 erbauten Haus in Moskau: einem kühnen zylindrischen Bauwerk von verblüffender Optik. Ein Einsamer, Geduldeter. Ein idealistischer Revolutionär, den die Revolution überrollte.

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