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Theater um Grüne: Demokratie-Chance

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Liberal zu sein, war lange Zeit „in“. Eine Partei, die sich er- folgs- und zukunftsorientiert präsentieren wollte, mußte ihr Programm und ihre Werbung liberal aufmascherln, um an sogenannte liberale Wählerschichten heranzukommen.

Heute, wenige Jahre später, sind es nicht mehr die liberalen Bürger, sondern die Grünen und Alternativen, die von den Parteien als neue potente Wählerschicht entdeckt wurden. Zuerst noch als Narren, Querulanten, Außenseiter der Gesellschaft abqualifi-

ziert, gewann diese Gruppe von Bürgern zunehmend politische Bedeutung: Wahlen nahten, und seit Zwentendorf ließen Bürgerinitiativen die etablierten Polit- saurier über kleine grüne Bäumchen stolpern.

Um Macht zu erhalten oder Macht zu erlangen, mußte man nun alternativ, also auf Grün setzen. Man machte Anstalten, die Grünen zu unterlaufen: Wer ist der Grünste im ganzen Land? Wie aber macht man das, wenn man sich als Roter, Schwarzer oder

Blauer nun erfolgreich in Grün zeigen soll?

Gibt es eine Moral von der Geschichte? Doch. Aber sicher keine, die nur kurzfristig gilt und keine, die nur für eine Wahl Gültigkeit hat. Ohne für die wahlwerbenden Grünen und die Alternativen Partei ergreifen zu wollen (auch hier gibt es noch viel Ungereimtes, auch hier gibt es gefährliche ideologische Ansätze), muß man diese Entwicklung doch als Chance für unsere Demokratie sehen. Konkret könnte dies heißen:

• Viele Menschen müssen in unserem Land wieder lernen, Demokratie und ihre Vorteile nicht bloß zu konsumieren, sondern sie durch eigenes Engagement zu ver lebendigen.

• Parteimitgliedschaft soUnicht heißen: Beitritt zu einer Protektionsgenossenschaft, bei der unkritisches Wohlverhalten mit Posten, Wohnung, Mandaten usw. belohnt wird.

• Partei darf nicht bedeuten, daß einige wenige die Parteimeinung deklarieren, die für alle gilt. Partei sein heißt, Partei ergreifen für die Anliegen der Bürger! Dies gebietet aber, daß eine Partei ihre Linie permanent in Frage stellen lassen muß.

• Abgeordneter zum Nationalrat: In der authentischen Bezeichnung dieser politischen Funktion steckt eine vergessene Begriffsbedeutung — von den Bürgern sei nes Wahlkreises „abgeordnet“ und diesen Bürgern verpflichtet zu sein, nicht alleine der Partei! Der fälschliche Begriff „Nationalratsabgeordneter“ sollte daher dem Worte und dem Sinn nach eliminiert werden.

• öffentliche Ethik: eine Forderung, die an Politiker im speziellen gerichtet ist, aber auch für uns alle gilt. Wirkliche Eindämmung von Korruption, Privilegien, Skandalen wird nur dann gelingen, wenn Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit zu gesamtgesellschaftlich anerkannten Werten werden. Wiederherstellung eines integren Politikerbildes kann schließlich auch heißen, daß wir als Wähler nicht bloß

„Macher“ honorieren, sondern die Sensiblen stärken: jene Politiker, die das Gespür, die Empfindsamkeit haben, Probleme der Menschen zu verstehen.

Angesichts der anstehenden Probleme wird es sicher nicht zielführend sein, mit dem Stimmzettel bloße Denkzettelwahlen zu veranstalten. Die Wähler und die Politiker müssen sich darauf einstellen, daß eine Politik, die auf der bisherigen Form des Wachstums aufbaut, die in einem weithin kulturlosen und geistlosen Stil abgehandelt wird, keine Zukunft hat.

Nicht das tägliche ORF- Sprechblasentheater, nicht das professionelle Abgeben von Stellungnahmen und Gegenstellungnahmen der Parteien, sondern nur eine echte und aufrichtige Befassung mit den gewiß nicht leichten Problemen unserer Zeit können dazu führen, daß wieder gute Politik gemacht wird. Als Wähler und Gewählte müssen wir uns um eine neue politische Kultur bemühen, wenn wir den Katzenjammer (frühestens bei der nächsten Wahl, spätestens wenn unser Lebensraum und unsere Seele noch mehr verödet sind) vermeiden wollen.

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