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Tödliche Emotionen
Sollen Kleinbühnen bedeutende Dramen von früher aufführen? Das gelingt auf jeden Fall den Großbühnen, wenn auch keineswegs immer vollendet, so doch besser. Dennoch spielt derzeit das „Ensemble-Theater im Kärntertor“, das ehemalige Cafetheater, Strindbergs Meisterwerk „Fräulein Julie“. Allerdings folgt man dabei dem Trend zum regielichen Umfunktionieren. Experiment: Das naturalistische Stück wird antinaturalistisch dargeboten.
Das heißt, die drei Gestalten, Fräulein Julie, der Diener Jean und die Köchin Kristin, scheinen Teile eines Spielwerks zu sein, ihre Bewegungen sind abgezirkelt, sie sprechen vorwiegend wie unter Anführungszeichen, steif. Pantomimisches ist zwischengeschaltet, es ertönt immer wieder Musik. Dadurch wird das meisterliche Psychologische dieser Figuren völlig eskamotiert, ein Sexualritual entsteht, bei dem die entscheidende Sexszene zwischen Julie und Jean entgegen Strindberg andeutend zur Vorführung gelangt und es auch noch willkürlich hinzugefügte Sexualakte bei Kristin sowie zwischen ihr und Jean gibt.
Ist der Naturalismus dramatisch sich steigernder Ballung für uns unerträglich? Sind Menschen nicht mehr Individualitäten, nur noch Puppen? Ist dies Rechtfertigung? Das eminent Gesellschaftliche sinkt gegenüber dem Artifiziellen ab. Und eben dieses Amtifizielle kippt bei der Tötung von Juliens Zeisig durch Jean — spritzendes Blut! — ins Pradlerische um. Gelächter. Auf Charakterisierung kommt es unter der Regie von Dieter Haspel kaum an. So wirkt Sonja Burian als Julie wie ein Kunstgeschöpf, Hagnot Elischka fehlt es als Jean an Vitalausstrahlung, Marielies Blaskovich gibt dagegen die Kristin gegen Schluß ziemlich deckend. Treffliches
Bühnenbild von Haitger M. Böken. Der Formalismus wird zur Gefahr für dieses Ensemble.
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Im „Theater der Courage“ sieht man derzeit das Tendenzstück „amo amas, amat“, in dem sich der Wiener Peter Slavik, Dramaturg am Ulmer Stadttheater, gegen die üble Auswirkung von Erziehungsheimen für Jugendliche wendet. Er zeigt, wie Alois, ein junger Kerl, schuldlos von einem Polizisten des Einbruchs, der Verführung einer Minderjährigen verdächtigt wird, er zeigt, welchen Brutalitäten er und sein Mädchen in der Polizeistube ausgesetzt sind und wie verheerend sich in den Erziehungsheimen der Einfluß der Insassen auf sie auswirkt. Bei Alois und einem sadomasochistischen älteren Zögling namens Martin ergibt sich eine Spannung, die sich immer mehr steigert, bis der Triebbesessene von ihm erschlagen werden will. Alois willfährt ihm emotionsbedingt. — Die Eltern sind fast stets die Ursache, wenn Kinder verkommen. Hier zeigt der Autor etwas viel Krasseres: Ein Schuldloser wird in der Maschinerie des staatlichen Zugriffs zum Mörder. Die Schuld liegt hier nicht bei den Eltern, die Szene mit ihnen erübrigt sich.
Das Zwingende der sonstigen vier Szenen, besonders der letzten, kommt unter der Regie von Rudolf Jusits vor allem mit Günther Treptow als Alois und Karlheinz Hackl als Martin zu dichter Wirkung. Wieder eine vorzügliche Aufführung sowie eine praktikable Bühnenbildlösung von E. Hofer und D. Matejcek. V/endet sich dieses Stück an das allgemeine Publikum? Es soll alarmieren. Die amtlich Zuständigen müßten die Aufführung sehen und danach über die aufgeworfenen Probleme diskutieren.
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