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Hochzeit vor der Sintflut

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Nach der Horvath-Uraufführung (über die wir berichteten) hatten sich die Grazer Vereinigten Bühnen für den „Steirischen Herbst“ noch einen besonderen Schlußeffekt aufgespart: die österreichische Erstaufführung des dramatischen Erstlings von Elias Canetti. Das Stück „Hochzeit“ stammt aus dem Jahre 1932, wurde aber erst vor vier Jahren in Braunschweig uraufgeführt. Vor kurzem kam es in Stockholm heraus und soll nach der Grazer Aufführung nun auch in der Schweiz gegeben werden. Ähnlich wie Karl Kraus hat auch Canetti sein Bühnenwerk zunächst als Lesedrama gedacht und sieht sich nun mit Interesse die verschiedenartigen Realisierungen der „Hochzeit“ in aller Welt an. Ob er mit der Grazer Wiedergabe zufrieden sein kann, muß füglich bezweifelt werden.

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Nach der Horvath-Uraufführung (über die wir berichteten) hatten sich die Grazer Vereinigten Bühnen für den „Steirischen Herbst“ noch einen besonderen Schlußeffekt aufgespart: die österreichische Erstaufführung des dramatischen Erstlings von Elias Canetti. Das Stück „Hochzeit“ stammt aus dem Jahre 1932, wurde aber erst vor vier Jahren in Braunschweig uraufgeführt. Vor kurzem kam es in Stockholm heraus und soll nach der Grazer Aufführung nun auch in der Schweiz gegeben werden. Ähnlich wie Karl Kraus hat auch Canetti sein Bühnenwerk zunächst als Lesedrama gedacht und sieht sich nun mit Interesse die verschiedenartigen Realisierungen der „Hochzeit“ in aller Welt an. Ob er mit der Grazer Wiedergabe zufrieden sein kann, muß füglich bezweifelt werden.

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In einem fünfbildrigen Vorspiel, das den Untergrund für die anhebende Hochzeit malt, wird der Umraum der Besitzgier in prägnanten Szenen lebendig und in verschiedenen menschlichen Gruppierungen ausgeleuchtet. Dann folgt der einaktige Hauptteil, die Feier der „Hochzeit“: vordergründig ein normales Fami

lien- und Freundesgelage, wie es dem bürgerlichen Milieu der dreißiger Jahre entspricht, in Wahrheit aber die zynische und groteske Entlarvung einer im tiefsten Sinne unmoralischen und zum Untergang durch Selbstzerstörung verurteilten Menschheit, die vor dem Erdbeben, das das Haus vernichtet, nicht zu

retten ist. Was bleibt nach der Katastrophe, ist die krächzende Stimme eines Papageis: „Haus, Haus, Haus.“ Es ist eine Prophetie von beängstigender Gewalt im Sinne von Canettis Wort: „Was du entsetzt erfunden hast, stellt sich später als schlichte Wahrheit heraus.“ Eine Weltuntergangstragödie als schwarze Satire im engen Raum eines Zinshauses lokalisiert, die im Realismus des Volksstücks ihren Ausgang nimmt und in zunehmender Stilisierung sich zu einem grimmigen Surrealismus steigert.

Faszinierend ist die sprachliche Gestalt der einzelnen Szenen, die geprägt ist von dem für eine Figur typischen Vokabular (Canetti nennt es „akustische Maske“). Das Szenentypische des Vorspiels macht im Hauptteil einem wilden, aber immer noch differenzierbaren Gemengsel verbaler Typisierung Platz. Hier, in; diesem wollüstigen Veitstanz ums Goldene Kalb, bleibt dem Zuseher kaum etwas erspart an zynisch gesehener Unmoral. Beim Lesen des Stückes wird einem klar, daß nur eine meisterhafte, künstlerisch aufwendige, mit außergewöhnlichen Ideen arbeitende Inszenierung dem Werk gerecht werden kann. Von Jan Biczyczki, dem Grazer Gastregisseur, hatte man sich diese überdurchschnittliche Leistung erwartet. Die Aufführung jedoch wurde zur Peinlichkeit vor dem anwesenden Dichter, weil der Regisseur das Stück offensichtlich unterschätzt und die Intendanz ihrerseits den Regisseur überschätzt hatte. Die österreichische Erstaufführung wurde so zum Debakel, das auch diverse gute bis sehr gute Darstellerleistungen nicht verhindern konnten, weil ihr das Konzept und die geduldige Bemühung des Regisseurs fehlten.

Daß ein Wettbewerb nicht immer erfolgreich enden muß, bewies der Einakterwettbewerb der Grazer Bühnen. Von den etwa 300 Stücken, die bei der Dramaturgie eingelangt waren, wählte die Jury vier Arbeiten aus, krönte sie preis und stellte sie im Siteirischen Herbst auf der Probenbühne des Schauspielhauses vor. Keiner der Einakter vermag die in ihn gesetzten Erwartungen voll zu befriedigen.

Die „Grazer Waschung“ des jungen Kärntners Günter Lehofer ist der innere Monolog eines Studenten während des abendlichen Waschens und Zubettgehens. Banalitäten werden aneinandergereiht, Reflexionen angestellt: „gedankenloses“ Denken beim Ohrenausputzen. Dramaturgische Armut und textliche Unebenheiten hinterlassen ein flaues Gefühl. Die beiden Wiener Richard Kovace- vic und Emmerich Kolonie wurden für ihren dem Zyklus „Heimspiele" entnommenen Einakter „Sprechverbot" prämiiert. In vier Bildern, sketchartigen Szenen, versuchen die Autoren das triste Leben eines aus dem Erziehungsheim entlassenen Zöglings zu schildern. Wiener Dialekt, Tragik des Alltags, Klischeefiguren vom schroffen Erzieher, vom unerbittlichen Richter, der auf ihren Vorteil bedachten Freundin können

aber die anfänglich vorhandene Spannung nicht bis zum Ende retten. Die größte Enttäuschung war die politische Miniatur „Die Abschiedsrede“ von Uwe Bolius. Alles was nur irgendwie problemträchtig erscheint, wird hier zu einem Konglomerat zusammengeballt — vom Vietnamkrieg zur Negerfrage, vom Hunger in der Welt zur Atombombe —, und ohne dramaturgischen Instinkt gestaltet. So läuft auf der Bühne mit großer Kraftaufwendung des einzigen Darstellers ein Spektakel ab, dessen Zweck nicht recht einsichtig wird, obwohl dem Zuseher sehr oft in pseudobrechtischer Manier vom Schauspieler erklärt wird, daß dieser zwar Schauspieler, aber auch Martin Luther King sei, der gerade seine Abschiedsrede halte, weil er gleich erschossen würde.

Der einzige Beitrag zu diesem Einakterabend, der einigermaßen zu gefallen vermag, ist Harald Somers „Die Leit“. Auch dieses Stück lebt von den Banalitäten der Umgangssprache, den Zwistigkeiten des Alltags, die aus einem Nichts sich aufbauen, den stereotypen und sinnlosen Wiederholungen im Gespräch — aber hier fühlt man die Hand eines Autors mit Theatergespür. Aus dem Grundthema „Du deafst do net di Tia so zuaschlogn“ wächst das dichte Geranke eines Streites, der mit einem wirksamen Schlußakkord endet.

Kulturnotizen

• Etwa 50 Schubert-Autographen, darunter eine zweite Partiturseite zum Scherzo der „Unvollendeten“, wurde nach Meldung der Internationalen Schubert-Gesellschaft in Wien aufgefunden. Die Autographen, zweifellos der bed.eutf.dste Schubert-Fund nach langer Zeit, ent- halten auch zwei Lieder, von denen bisher nur die Titel bekannt waren, die früheste bekannte Komposition Schuberts, drei vollständig erhaltene Klavierfugen sowie Fragmente und Kompositionsstudien.

• Die Deutsche Kinemathek in Berlin will ihre Schätze nicht nur im Verborgenen horten, sondern sie mehr als bisher auch der Öffentlichkeit zugänglich machen. Eine kleine Sensation dürfte darunter im November die Carl-Theodor-Dreyer- Retrospektive sein, die das Gesamtwerk des dänischen Regisseurs („Jeanne d'Arc“) vorstellt.

• Unbekannte Klavierwerke von Robert Schumann spielte der Wiener Pianist Jörg Demus in den italienischen Städten Bergamo und Brescia im Rahmen des 6. Festival pianistico internationale.

• Die Lyrikerin Christine Busta, der Komponist Anton Heiller und der Bildhauer Rudolf Hoflehner erhielten auf Vorschlag des österreichischen Kunstsenats von Unterrichtsminister Mock die Großen österreichischen Staatspreise verliehen.

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