Belarus: "Lukaschenko hat weniger Unterstützung denn je"
Seit Tagen demonstrieren Zehntausende in Weißrussland und fordern die Absetzung von Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko. Politikexpertin Olga Dryndova über die Proteste und ihre Erfolgschancen.
Seit Tagen demonstrieren Zehntausende in Weißrussland und fordern die Absetzung von Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko. Politikexpertin Olga Dryndova über die Proteste und ihre Erfolgschancen.
Olga Dryndova, gebürtige Belarussin, ist Redakteurin der Belarus-Analysen an der Universität Bremen. Sie forscht zu den Themen Zivilgesellschaft, politische Kultur und Demokratieförderung in postsowjetischen Staaten mit Schwerpunkt auf Belarus.
DIE FURCHE: Seit der Wahl vom Sonntag demonstrieren tausende Belarussen in Minsk und anderen Städten. Die Wahlfälschungen von Alexander Lukaschenko akzeptieren sie nicht länger. Was hat sich geändert?
Olga Dryndova: Die Proteste sind ein deutliches Zeichen, dass die Menschen genug von Lukaschenko haben, der seit 1994 an der Macht ist. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja konnte in kürzester Zeit Hunderttausende mobilisieren. Sie ist Hausfrau, kommt nicht aus den Eliten. Ihr Mann wollte selbst bei der Wahl antreten und wurde verhaftet, daraufhin hat sie kandidiert. Sie ist ein Symbol für friedliche Veränderung.
DIE FURCHE: Inoffiziellen Umfragen zufolge hat eine große Mehrheit für Tichanowskaja gestimmt.
Dryndova: Lukaschenko hat massiv an Beliebtheit verloren. Für die meisten hat es dabei keine Rolle gespielt, wer an die Macht kommt, Hauptsache, nicht mehr er. Die Menschen fühlen sich vom Staat im Stich gelassen, der keine gesundheitliche und wirtschaftliche Sicherheit mehr bieten kann. Inmitten der Coronakrise kamen drei starke Frauen in die Politik, die zuvor nie politisch aktiv waren. Die Parteiopposition existiert zwar, ist aber nicht breit bekannt und hat es nie geschafft, solche großen Proteste landesweit zu organisieren. Es gab auch früher Proteste nach den Wahlen, aber nur in Minsk. Bis 2016 waren repräsentative Wahlumfragen erlaubt, da hatte Lukaschenko womöglich noch immer die Mehrheit hinter sich. Jetzt nicht mehr.
DIE FURCHE: Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie?
Dryndova: Die Kommunikation Lukaschenkos war arrogant, verantwortungslos und inkonsequent. Selbst Putin hat sich nach einiger Zeit einen Schutzanzug angezogen und vor Covid-19 gewarnt, Lukaschenko aber hat die Gefahr heruntergespielt und Wodka als Gegenmittel empfohlen. Auch hat er sich abfällig über die Verstorbenen geäußert – sie hätten ja selber Schuld, wenn sie chronisch krank sind und auf die Straße gehen. Lukaschenko hätte Corona ganz anders für sich nutzen können, indem er Sorge zeigt, Krankenhäuser besucht, die Menschen unterstützt. Viele waren schockiert über diese Aussagen. Da hat er sich viel kaputtgemacht.
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