
Weißrussland: Komputerismus auf Belarussisch
Belarus will zum High-Tech-Land werden. Für die junge Elite sind staatliche Investitionen in die IT-Ausbildung der Weg in die Freiheit – und damit auf ein Leben im Ausland.
Belarus will zum High-Tech-Land werden. Für die junge Elite sind staatliche Investitionen in die IT-Ausbildung der Weg in die Freiheit – und damit auf ein Leben im Ausland.
Im ersten Stock des Marriott Hotels in der belarussischen Hauptstadt Minsk summt und surrt es. Drohnen zischen durch die Gänge, hier ein Roboterarm, da ein innovatives Gewächshaus, dort eine noch innovativere IT-Lösung. Dekos aus Kartonrohren und ganz viel unverbindliche Freundlichkeiten, garniert mit noch mehr Motivationssprüchen. Trotzdem: Das hier ist kein Sammelplatz für Spielereien.
„Global Entrepreneurship Week“ nennt sich die Veranstaltung. Den Namensbadge der Messe trägt man hier mit Stolz. Man sieht sich als Elite. Widersprüchlich sind Hipster-Charme einerseits und post-sowjetische Ästhetik andererseits nur auf den ersten Blick. Denn hier wird Geld gemacht. Geld, das der belarussische Staat dringend braucht. Und daher schaut auch der Premierminister von Belarus, Sergei Rumas, auf der Messe vorbei, stolziert durch die Reihen der Aussteller, probiert das eine oder andereExponat aus, lässt sich die Aussteller erklären.
An einem dieser Stände steht Andrei Pliachko. Er baut bereits sein zweites Start-up auf, wird aber bald nach Los Angeles gehen. Obwohl die IT-Branche in Belarus gefördert wird, ist es für die meisten Spezialisten auf diesem Gebiet attraktiver, im Ausland zu arbeiten. Er hält ein Headset in Händen, das Gehirnströme misst. Über Entspannung und Konzentration lassen sich damit Tablet- und Smartphone-Spiele oder eine Roboter-Spinne steuern. Ein Gadget für die Arbeit mit ADHS-Patienten oder Kindern mit Autismus. Auch Premierminister Rumas probiert so ein Headset aus, nickt zustimmend, stellt Fragen. Fotos werden gemacht. Andrei Pliachko wird sie später stolz in den sozialen Netzwerken teilen.
Vom Hippie zum Start-up
Andrei lächelt viel. Er ist gelernter Pädagoge. Das Headset-Projekt ist schon sein zweites Start-up, das er zusammen mit einem Business-Partner hochgezogen hat. Andrei erzählt von seinem Leben, gestikuliert ausladend. In Kiew habe er gelebt, in Lemberg, in den Karpaten. Er lacht. Ein Hippie sei er gewesen. Damals. Ein Kampfsportler und Meditations-Trainer. Lange Haare, Rastazöpfe. Dann hat er sich den Kopf rasiert, ist zurück nach Minsk gegangen. Heute trägt er ein gebügeltes Hemd und bewirbt sein Produkt. Eines, wie er sagt, zu dem er schon vor einigen Jahren die Idee gehabt habe. Damals hätten ihn die Offiziellen in Belarus noch verspottet. Heute zeigt sich der Premierminister sehr interessiert.
Die belarussische Führung steht Veränderungen – vor allem Freiheiten – generell skeptisch gegenüber. Aber beim Start-up-Business ist sie einen Kompromiss eingegangen: Der IT-Sektor war in dem Land schon immer stark, 2017 wurde deshalb ein High-Tech-Park (HTP) gegründet – kein physischer Park, mehr ein Regime aus Gesetzen und Regelungen, in dem ausgewählte Start-ups Steuerfreiheiten, Begünstigungen vor allem, aber auch Förderungen genießen. Neben chemischer Industrie, Traktoren und Landwirtschaft wird nun von hochoffizieller Seite des Staates auf IT und High-Tech gesetzt.In den Gängen des Marriott hört man nur Gutes dazu. Kritiker jedoch sprechen von einem Staat im Staat, der durch die Sonderregelungen für die Branche entstanden sei. Von einem Hongkonger Modell ist die Rede – nur ohne territoriale Trennung.
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