Mexiko und die USA: Zwei Welten des Designs

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Der ländliche Purismus der USA, aber auch Mexikos Moderne schöpfen aus lokalen Traditionen.

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Der ländliche Purismus der USA, aber auch Mexikos Moderne schöpfen aus lokalen Traditionen.

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Wer sich unter Dekonstruktivismus noch immer nichts vorstellen kann, greife zum Band "Amerika - Ländlicher Purismus" der Reihe "Die Welt des Designs". Es gibt ja bekanntlich Modebegriffe, die gehen rein wie Butter. Jeder versteht etwas darunter, gleichgültig, ob es das Richtige ist. Beispiel: Chaostheorie. Andere Wörter bleiben der Zeit im Hals stecken, kaum ein Laie kann sich darunter etwas vorstellen. Dekonstruktivismus ist ein geradezu klassisches Beispiel dafür. Herbert Ypma benötigt nur ein Zitat von Frank Gehry und wenige weitere Zeilen, um anhand eines Hauses von Lee Skolnick Entstehung und Wesen des Dekonstruktivismus jedermann verständlich zu machen: Er ist Ausdruck des schnellen Zeitgeistes, der Konsum- und Wegwerfkultur, und nutzt dabei "das ausdrucksvolle Potential der rohen Struktur". Das ist, bei aller Unschärfe, oder gerade dank der Unschärfe, ein nahezu so brauchbares Unterscheidungsmerkmal wie "Rundbogen romanisch, Spitzbogen gotisch".

Zwei neue Bände der Design-Serie des Knesebeck-Verlages liegen vor: Neben Amerika: "Mexiko - Fiesta". Beide von Herbert Ypma, zwei weitere anregende Lektionen in der Schule des Sehens. Nur gelegentlich, wie beim Dekonstruktivismus, kann sich das Sehen auf vorgefertigte Begriffe stützen, die das Gesehene, zu Sehende etikettieren. Die Bilder sind die Haupt-, die Texte die Nebensache. Vielleicht ist dies der Grund dafür, daß Ypma immer wieder knappe, treffende Denkanstöße gelingen. Etwa, wenn er im Mexiko-Band über den Kolonialstil schreibt, in den dreißiger und vierziger Jahren sei es Mode gewesen, "die Spanier als Verbrecher und ruchlose Zerstörer eines kostbaren kulturellen Erbes hinzustellen. Heute fällt das Urteil etwas milder aus. Ein neuer Pragmatismus erkennt an, daß die Kultur Mexikos wegen, nicht trotz der Geschichte des Landes eine so außergewöhnliche, exotische Mischung ist. Es ist also wieder erlaubt, der Kolonialzeit etwas Gutes abzugewinnen." Allerdings bezeichnete schon Richard Neutra Mexiko als das "vitalste Land beider Amerika".

Das Buch bestätigt diesen Ausspruch vollinhaltlich. Mexikos Bautradition mit dem Innenhof, der Mauer und der Farbe als wichtigsten Strukturelementen macht es modernen Architekten zugleich schwer und leicht: Leicht, da sie bruchlos an die lokalen Traditionen anknüpfen können - schwer, weil eben diese mit ihrer Klarheit, ihren Proportionen, ihrem ästhetischen Standard hohe Vergleichsmaßstäbe setzen. Revolution gegen Vorhandenes, Protest gegen das Bestehende ist für Architekten in Mexiko nicht angesagt.

In diesem Sinne ist "Mexiko" eine Galerie ästhetischer Lösungen, die sich niemals eins zu eins übertragen lassen, aber wertvolle Anregungen bieten, wobei einige der gezeigten Häuser freilich nicht zuletzt die Botschaft vom Reichtum ihrer Eigentümer verkünden. Wenn die schieren Raumdimensionen "selbst die größten Möbelstücke winzig erscheinen lassen" und ein Eßtisch für 18 Personen "zur Bedeutungslosigkeit schrumpft", wird das Wort von den bescheidenen Materialien halt doch etwas relativiert.

Immerhin kann der Band bei Architekten, Designern und Bauherren bis herunter zum vielzitierten "Häuselbauer" als Medizin gegen die hierzulande besonders verbreitete Angst vor starken, dominierenden Farben wirken. Er ist voll von Anschauungsbeispielen dafür, welch eindrucksvolle Effekte sich damit nicht nur bei den Außenmauern, sondern auch in der Innenarchitektur erzielen lassen - vor allem in Verbindung mit einer entsprechenden Gestaltung der Oberflächen. Schon in der prähispanischen Zeit gab es in den nach europäischen Maßstäben fast unmöblierten Palästen mit bunter Baumwolle oder mit Gold bedeckte Wände und Wandteppiche aus gefärbten Federn, aber auch Stuckfassaden, die mit Flußkiesel derart glattpoliert wurden, daß die Eroberer nur so staunten. Die Oberschicht des alten Tenochtitlan beschäftigte eigene Diener, die nur die Aufgabe hatten, die Mauern zu pflegen.

Die Beispiele im Band über Amerikas ländlichen Purismus stehen uns näher, haben mehr Beziehung zu den Gestaltungsaufgaben, die in unseren Breiten zu lösen sind - auch wenn die vorgeführte Architektur aus völlig anderen Traditionen und geistigen Voraussetzungen schöpft. Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Strenge bei anspruchsvoller handwerklicher Verarbeitung waren das von den Shakern, aber auch von den Amish angestrebte Ideal. Sie entsprechen aber auch dem Lebensgefühl und den Wünschen vieler außerhalb der Städte siedelnder Amerikaner (oder Stadtbewohner mit Zweithäusern) viel mehr als irgendwelche europäischen Vorbilder.

Europäer können aber manches davon für sich produktiv machen. Immerhin haben Amerikaner und Europäer eine der stärksten stilistischen Ressourcen amerikanischen Bauens, die römische Antike, gemeinsam. Sie ist bloß in Amerika lebendiger geblieben, wurde dort besser gepflegt, in Europa hingegen von zahlreicheren und dickeren Schichten von Modernismen überlagert. So daß uns am ländlichen Purismus Amerikas vieles urvertraut, doch vergessen anmutet.

MEXIKO - FIESTA Amerika - Ländlicher Purismus Von Herbert Ypma Verlag Knesebeck, München 1998, "Die Welt des Designs" Band 5 und 6 Jedes Buch 160 Seiten, 179 bzw. 184 farbige Abbildungen, Pb., je öS 364,

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