Oasen im Meer des Elends

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Reine Genüsse beschert Herbert Ypma im neuen Band der Reihe "Die Welt des Designs": "Klassisches Irland". Zugleich entstehen gemischte Gefühle. Die Genüsse sind ästhetischer Art, das Buch entführt zu den Spuren eines hochgezüchteten Lebensstils, in die Welt des irischen Landhauses. Die Bandbreite reicht von Guts- und größeren Bauernhäusern bis zu "Landhäusern", die - wie das englische Landhaus in England selbst - eher Herrenhäuser sind, wenn nicht die Bezeichnung Schloß die Sache besser trifft. Sie machen die Mehrheit der abgebildeten Objekte aus. Dafür, daß er den Georgian Style dem überladenen Viktorianischen vorzieht, hat der Autor meinen Beifall. Der Irish Georgian ist noch um einiges asketischer als der englische.

Gemischte Gefühle überfallen den Leser, falls er Irland kennt und sich mit dessen Geschichte vertraut gemacht hat. Denn das Landhaus der Gutsherren bedeutete Schönheit inmitten einer Armut, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann und vielleicht gar nicht vorstellen will. Es ist eine Oase in einer Wüste der Armut, keiner von der Natur ausgetrockneten, sondern einer Wüste durch schrankenlose Ausbeutung.

Wäre es nicht die Realität, könnte man den Autoren bescheinigen, einen raffinierten Kunstgriff gefunden zu haben, um auch diesen Kontrast zu ästhetisieren. In den Fotografien von Barbara und Rene Stoeltie ist der Verfall allgegenwärtig. Die Ästhetik vieler Bilder ist die Ästhetik des Verfalls. Wie da in einem Stadthaus Dublins (es könnte auch ein Landhaus sein) die intensiv blaue Temperafarbe, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts für Innenräume beliebt war, herunterblättert, Löcher zeigt, sich aber viel von ihrer Farbtiefe bewahrt hat - hat man ein Sensorium dafür, entzieht man sich dem schwer. In unseren Breiten hätte man die Wand längst neu verputzt, neu gemalt - barbarisch. Vielleicht verdanken wir ihre Erhaltung auch in Irland der Armut, hatten die Hausbewohner kein Geld für Reparaturen - bis ihnen der Wert des Originalzustandes bewußt wurde.

Irland war ja nicht nur in vergangenen Jahrhunderten, es war bis in die jüngste Vergangenheit arm und ist es, etwas weniger, heute noch. In der Zeit, in der betuchte Dubliner ihre Zimmer blau ausmalten, war der Kontrast zwischen Arm und Reich astronomisch. Ypma liegt etwas daneben, wenn er meint, die wachsende Mittelschicht um 1750 hätte sich Häuser gebaut, um sich von der Arbeiterklasse abzuheben. Eher wollte sie sich von weniger begüterten Teilen der Mittelschicht abheben.

Die sozialen Unterschiede waren damals von ihrem Höhepunkt noch weit entfernt. Die Not kulminierte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit der großen Hungersnot infolge der Kartoffelfäule. Ypma erwähnt sie kurz in seiner Einführung. Vielleicht sollte man hinzufügen, daß durch die Vernichtung ihres Grundnahrungsmittels innerhalb weniger Jahre eine Million Iren starb, ganze Generationen nach Amerika auswandern mußten. Die Kartoffel, als Futter für das menschliche Landwirtschafts-Arbeitsvieh in Monokulturen angebaut, hatte in den Jahrzehnten vor der "big famine" zu einer Bevölkerungsexplosion geführt. Ein Zeitgenosse schreibt, im milden irischen Klima habe eine Vertiefung im Boden und eine drübergelegte alte Tür für die Familiengründung genügt.

Vielleicht sollte man auch hinzufügen: Die Getreideausfuhr nach England ging in den Jahren der großen Hungersnot im vollen Ausmaß weiter. Getreide war dazu da, englischen Reichtum zu mehren, nicht, eine irische Hungersnot zu bekämpfen. Adam Smith war schon fünfzig Jahre tot, die große Zeit des Manchester-Liberalismus angebrochen.

Daran muß man denken, wenn man sich das Kapitel über die Landhausküche zu Gemüte führt und erfährt: "Selbst die größten Leinenfabriken beschäftigten damals nicht mehr als an die hundert Arbeiter, während Häuser wie Castleton oder Carton ebenso viele schon für die täglichen Verrichtungen benötigten." Und: "Kein Wunder, daß im 18. Jahrhundert nur die Armee und die Marine mehr Beschäftigte hatten als die großen Landhäuser." In einer Gesellschaft, in der ein Pfau "also lediglich für die Tischdekoration geschlachtet" wurde, bedeutete es für viele Arme das höchste Ziel ihrer Wünsche, in der Hierarchie eines solchen Haushaltes unterzuschlüpfen.

Aber ganz ohne Zynismus, eher mit leiser Wehmut gesagt: Armut zählt auch zu den mächtigsten Helfern des Denkmalschutzes. Was reiche Schichten aufbauten, verfällt langsam, bleibt aber erhalten, wird nicht durch Neues ersetzt, wenn Länder in der Folge verarmen. Seiner traditionellen Armut verdankt Irland seinen Reichtum an kulturhistorischen Zeugnissen.

Da stehen die Landhäuser in erster Reihe. Sie sind Zeugen irischer Geschichte, ihre Erhaltung ist der privaten Initiative überlassen. Viele Besitzer erwarben sie erst in jüngerer Zeit, pflegen sie liebevoll, stecken viel Geld und Zeit hinein, erneuern behutsam, lassen die vom Zahn der Zeit hinterlassenen Spuren oft bestehen, auch wenn der Putz bröckelt und die Bodenbretter klaffen. Das Spektrum der Besitzer reicht von Familienmitgliedern der Brauereidynastie Guinness bis zu einem Original wie dem amerikanischen Maler Timothy Hennessy, der Prospect House in Kildare erwarb. Er glaubt an die Macht der Worte und vergrub Texte von Dichtern unter den Böden. In Vasen und Krügen liegen Papierstreifen mit Fragmenten aus klassischen Texten.

Das Buch ist eine Fundgrube herrlicher Räume und Details. Zu den Leckerbissen zählt das Kapitel über Tapeten, die anhand der Fragmente auf alten Wänden rekonstruiert werden konnten und zum Teil von einer kleinen Manufaktur wieder hergestellt werden.

Klassisches Irland Von Herbert Ypma, Bilder: Barbara und Rene Stoeltie Knesebeck Verlag, München 1999 160 Seiten, 142 Farbilder, Pb., öS 364,

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