Die Bologna-Blase ist geplatzt

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Statt zweifelnden Fragens verordnet die umstrittene Bologna-Bildung den Studenten eine hohle Inszenierung von Wissenschaft, schreibt die FAZ.

Zehn Jahre nach der Einführung der Bologna-Reform an den Universitäten kann die tiefgreifendste Reform der deutschen Universität nach dem 19. Jahrhundert als gescheitert gelten. Das räumen inzwischen sogar die Verantwortlichen ein. Dafür haben einzig und allein die Proteste der Studenten gesorgt. Allerdings wären es nicht dieselben Politiker und Wissenschaftsmanager mit Vierjahresgedächtnis, die auch die Reform zu verantworten haben, wenn sie nicht eine neue Ausflucht parat hätten: Das sei alles ein „Umsetzungsproblem“.

Nein, das ist es nicht. Die Bologna-Reform ist ein wissenschaftsfernes Zwangskorsett, das der Verkürzung der Studienzeiten und der Verringerung der Abbrecherquote dienen sollte. Es war nicht umsonst von Anfang an von einem europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraum die Rede. Und es ist kein Zufall, dass die Bologna-Blase so kurz nach der Finanzblase platzt. In beiden Systemen haben die Verantwortlichen jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren. Nachdem Hochschulpolitiker und Wissenschaftsmanager jahrelang den Superlativ vergewaltigt und von einer Exzellenz zur nächsten getaumelt waren, genügt es nun nicht mehr, ein paar Studienpläne nachzubessern.

Die Malaise der Hochschulen

Jetzt gilt es, nüchtern zu betrachten, was aus einer Wissenschaftskultur geworden ist, die argumentativ begründet war, den Zweifel institutionalisierte, zum selbständigen Nachdenken und zu langfristigen Erkenntnisprozessen anregen sollte. Es hat sich eine hohle Inszenierung von Wissenschaft entwickelt, in der Leerformeln, Verfahrenslegitimitäten und Machtinteressen die wissenschaftliche Auseinandersetzung verdrängt haben.

Mittlerweile wird nicht geforscht, weil eine Frage Antwort erheischt, sondern weil Fördermittel verbucht werden sollen. Der Gegenstand wird im Zweifel nachgeliefert. Schlimmer noch: An die Stelle der Argumentationskultur ist eine Antragskultur getreten. Fehler oder Schwierigkeiten dürfen nicht mehr zugegeben, Zweifel bei Strafe der Nichtförderung nicht mehr geäußert werden. An die Stelle des Geschichtsbewusstseins ist die Zukunftsoffenheit getreten, an die Stelle der Deutungsfähigkeit Ergebnisvermutungen, an die Stelle der reflexiven Distanz Scheingewissheiten. Sind Universitäten denn Legebatterien für Anträge, sind sie Brutstätten für potentielle Studienabbrecher oder studierunfähige, zuweilen auch studierunwillige Abiturienten geworden, die der OECD-Verheißung folgen, dass ein Akademiker erheblich bessere Verdienstchancen hat?

So einseitig oder uneinheitlich sie sein mögen, so unglücklich der widersinnige Begriff „Bildungsstreik“ auch gewählt sein mag, den Studenten geht es um den Kern der Universität: ein wissenschaftliches Studium. Der Bachelor-Abschluss soll in drei Jahren berufstauglich machen. Doch die Wissenschaftsminister haben nicht nur versäumt, sich die Folgen der Bologna-Reform klarzumachen, sie haben auch noch so getan, als würden die Bachelor-Absolventen in den Unternehmen mit offenen Armen empfangen, was nicht der Fall ist. […]

Wenn die Hochschulrektoren etwas aus den Studentenprotesten gelernt haben, beziehen sie künftig bei der Studienplangestaltung die Studenten mit ein. Dabei muss klar sein, dass es um wissenschaftliche Erkenntnis und nicht um demokratische Abstimmungsprozesse geht. Um die aufgeblasene Antragschreiberei zu beenden, muss die Grundfinanzierung der Universitäten angehoben werden. Die zukünftige Gestalt der Universität entscheidet darüber, ob die Gesellschaft den Alterungsprozessen und der Kommunikationsrevolution mit ihren Denk- und Sprachformen wehrlos ausgeliefert ist oder ob sie deuten kann, was mit ihr geschieht, um noch Entscheidungen treffen zu können.

* Frankfurter Allgemeine, 24. 11. 2009

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