Allerlei Blendwerk

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Seinem Zeitgeschehen hielt E. T. A. Hoffmann einen Spiegel vor, selbiges tut nun die gelungene Inszenierung von "Klein Zaches" am Volkstheater.

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Seinem Zeitgeschehen hielt E. T. A. Hoffmann einen Spiegel vor, selbiges tut nun die gelungene Inszenierung von "Klein Zaches" am Volkstheater.

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E. T. A. Hoffmann nannte seine Erzählung von "Klein Zaches genannt Zinnober", die nun am Volkstheater zu sehen ist, noch eine "scherzhafte Idee". Heute lachen wohl nur wenige über garstige Kerlchen, die dank Täuschung und Blendung zu großen Staatsmännern avancieren.

Um sich vor Zensur und Repressalien zu schützen, verlegte Hoffmann den Stoff ins Reich der Märchen. Der reaktionären Restaurationszeit setzte er immer wieder eine grellbunte Fabelwelt entgegen; hielt dem Zeitgeschehen um 1800 einen Spiegel vor und blickte zugleich weit in die Zukunft. Was später Max Horkheimer und Theodor W. Adorno als Dialektik der Aufklärung formulierten, hatte Gespenster-Hoffmann (wie er von seinen Zeitgenossen genannt wurde) bereits hellsichtig dargelegt: Das Misstrauen über ein Gesellschaftssystem, das dem Fortschritt alles zu opfern bereit ist und sich nur zu gern vom schönen Schein blenden lässt.

Alle Fabelwesen abschieben, rigoros!

Nicht nur die Texte des deutschen Romantikers lassen eine Überfülle an Analogien und Referenzen zu konkreten Personen und Vorfällen seiner Zeit zutage treten, auch Hoffmanns Lebenswelt, in der nationalstaatliche Tendenzen greifbar werden und totalitäre Herrschaftssysteme erstarken, hält mannigfaltige Assoziationen bereit. Es wurde also Zeit Hoffmann wieder aufzuführen. Der Budapester Autor Péter Kárpáti hat das Kunstmärchen nun sehr frei adaptiert, die Inszenierung von "Klein Zaches - Operation Zinnober" übernahm der höchst erfolgreiche ungarische Regisseur Victor Bodo.

Auf der Bühnenrampe proklamiert eine dreiköpfige Staatsriege lautstark den neuen Regierungskurs. Per Dekret wird vom Großfürst (Jan Thümer) und seinen beiden Vasallen (grandios: Claudia Sabitzer und Thomas Frank) die Aufklärung eingeführt. Feen und Zauberer sind ab sofort aus dem Reich verbannt. Eine "Feenkrise" wird verkündet, Einreiseverbot und rigorose Abschiebung aller Fabelwesen inklusive. Hinterm Stacheldrahtzaun versammeln sich all die Ausgestoßenen. Nur Klein Zaches schafft es dank Rosabalverdes Feenzauber über den Grenzzaun. Die vertriebene Fee (Anja Herden) startet damit die Operation Zinnober und aus dem kleinen "Wechselbalg" wird zwanzig Jahre später ein gar wunderschöner junger Mann (Gábor Biedermann). Dessen Strahlkraft wirbelt das Regierungsgefüge ordentlich durcheinander und lässt ihn immer weiter die Karriereleiter hochklettern. Zinnober schafft alternative Fakten. Jede Wahrheit wird zu seinen Gunsten uminterpretiert und sogar die schöne Candida (Evi Kehrstephan) gewinnt er mit seinen roten Zauberhaaren für sich. Nur der gutmütige Student Balthasar (Christoph Rothenbuchner) kann gemeinsam mit Ex-Zauberer und Portier Egon (Günter Franzmeier) dem Neo-Autokraten Einhalt gebieten.

"Mehr Licht!" lautet die oft zitierte Devise des scheinbar so aufgeklärten Fürstentums. "Mehr Licht!" lautet auch das Bühnencredo des fulminanten Abends. Der fortschreitenden Entzauberung der Welt setzt Bodo die magischen Kräfte des Theaters entgegen. Scheinwerferlicht, Videoprojektionen, Blitze, Theaterdonner und grelle Soundeffekte begleiten das turbulente Geschehen. Mittels Kamera werden dynamische Raumkonzepte entworfen. Etwa eine U-Bahnfahrt simuliert oder das Hauptabendprogramm hinter der ausgehöhlten Fernsehkiste durchgespielt. Rasche Szenenfolgen, die ein Bühnenfeuerwerk an charmanten Inszenierungseinfällen entfesseln, ohne dabei effekthascherisch zu wirken. Der mannigfache Theaterzauber geht zwar bisweilen zu Lasten der Handlung, das spielfreudige Ensemble entschädigt aber über Lücken im Spannungsbogen.

Temporeiches Bühnengetöse

Auch musikalisch wird ein breiter Soundteppich von Klassik über Rock und Pop bis hin zu Technobeats geknüpft. Die losen Klangfäden hält wie oft in Bodos Stücken der Musiker und Komponist Klaus von Heydenabar, diesmal mit Liveband im Orchestergraben, zusammen. Auf der Bühne wird ebenso virtuos musiziert. Franzmeier schindet die E-Gitarre, wie weiland Hendrix und auch Jaques Offenbachs Liedzeilen vom Kleinzack (am Hofe von Eisenack) fehlen nicht.

Ein temporeiches Bühnengetöse, das in seinen stärksten Momenten an Inszenierungen der Regiealtmeister Frank Castorf oder Christoph Marthaler erinnert und in schwächeren Augenblicken immer noch einem kongenialen Kasperltheater gleicht.

(Fast) getreu der Vorlage hält Bodo für den entzauberten Zaches ein jähes Ende bereit, alle anderen feiern fröhlich Hochzeit. Großer Applaus folgt dem Happy End.

Klein Zaches Volkstheater, 19., 25. Februar, 2., 4., 5. März

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