"Holz ist mein Aphrodisiakum“

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Schon als Kind hat Heinrich Schuller seine Liebe zum Baustoff Holz entdeckt. Heute betreibt er Architektur mit Leib und Seele, arbeitet an der Spiritualität von Räumen - und an seiner eigenen Entschleunigung.

Es war ein ziemlich ungewöhnlicher Neujahrsbrief, den Heinrich Schuller heuer an über 200 Geschäftspartner schickte: ohne die üblichen Floskeln, ohne Selbstbeweihräucherung, aber dafür umso grundsätzlicher. Von der unerträglichen Schnelligkeit unserer Zeit war darin die Rede - und vom Versuch, bewusst zu entschleunigen. Schuller gestand, lieber mit Menschen zu arbeiten als mit anonymen Organisationen, lieber kleine Schritte in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit zu setzen als panisch auf den Klimawandel zu starren - und lieber mit klarem Kopf einen Neujahrsbrief zu verfassen als hektisch Weihnachtskarten zu verschicken.

Die Resonanz auf das Mail war verblüffend: "Viele haben mir geschrieben, dass ich ihnen aus der Seele gesprochen habe - und zwar ausschließlich Männer“, erzählt der 50-Jährige. "Offensichtlich stehen gerade Männer heutzutage ziemlich unter Druck.“

Heinrich Schuller kann und will mit diesen Zwängen nicht mehr mit: Als Vater will er neben der Arbeit auch seine drei Kinder aufwachsen sehen und manchmal dabei sein, wenn sie am Fußballplatz ein Tor schießen; und als Architekt will er Häuser bauen, die nicht nur technisch funktionieren und in Hochglanzmagazinen gefeiert werden, sondern in denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner auch wohl fühlen.

Stimmung als Königsdisziplin

"Atos - Architekten mit Leib und Seele“ nennt sich das Büro, das er 1999 gemeinsam mit anderen ökologisch orientierten Architekten, Landschaftsplanern, Haustechnikern und Soziologen im siebenten Wiener Bezirk gegründet hat - und bei dem "der Mensch im Mittelpunkt“ stehen soll. "Ich weiß schon, dieser Slogan steht auf jeder zweiten Architektenhomepage“, sagt der Mann mit den roten Hosenträgern, "aber wir versuchen ganz bewusst, hinzuhören und uns mit den Menschen zu beschäftigen.“ Man könne eben Räume schaffen, die allen Regeln der architektonischen Kunst gehorchten - hinsichtlich Licht, Materialien, Baubiologie oder Farben - und trotzdem fühle man sich darin nicht wohl. "Gute Räume kann man nicht messen, man kann sie nur erspüren“, ist Schuller überzeugt.

"Spiritualität“ nennt er den schwer greifbaren und noch schwieriger zu erklärenden Faktor, der entscheidend sei, ob sich dieses Wohlgefühl einstelle oder nicht. Früher habe er verstärkt mit Feng-Shui-Analysen versucht, die Stimmung von Räumen zu verbessern. "Mittlerweile haben wir aber festgestellt, dass man auch das nicht zu rigide einsetzen sollte“, sagt der Architekt. Wichtiger sei Empathiefähigkeit - und die Bereitschaft, die Persönlichkeit und Wünsche des Gegenübers ernst zu nehmen.

Auch Heinrich Schuller selbst schweigt sich über seine Vorstellungen nicht aus. Seit zehn Jahren baut er praktisch nur Passivhäuser. Und seine wahre Leidenschaft gehört seit jeher dem Baustoff Holz. "Holz ist für mich wie ein Aphrodisiakum“, sagt der Architekt und streicht über die Maserung eines losen Brettes auf seinem Schreibtisch. "Auf einer Holzbaustelle zu stehen, ist das Schönste, was es gibt.“

Schon als Kind habe er sich in der Heimwerker-Werkstatt seines Vaters nur für Holzblöcke interessiert - Ytong oder Mörtel hätten ihn kalt gelassen. Mit 14 Jahren ging er an die HTL für Möbelbau und Innenausbau in Mödling, nach der Matura zum Architekturstudium an die TU Wien. Doch bald schon begann er nebenbei im "Atelier für naturnahes Bauen“ von Architekt Helmut Deubner zu arbeiten - und wurde in den folgenden zehn Jahren u.a. in die spannende Konzeption der "Ökosiedlung Gärtnerhof“ in Gänserndorf involviert, einem Pionierprojekt dessen, was man heute "Co-Housing“ nennt.

Gerade jetzt, nach etwa 40 Neubauten und Sanierungen, tüftelt man bei ATOS wieder an einem ähnlichen Konzept. Gemeinsam mit sieben Familien entwirft Schullers Team mitten im Wienerwald eine Wohnhausanlage - samt eigenem Gemeinschaftshaus, um den Zusammenhalt zu vertiefen.

Und wo wohnt der Architekt selbst? "Ich wohne in einem 150 Jahre alten, gemauerten Bauernhaus im Weinviertel“, sagt Heinrich Schuller schmunzelnd. Häuser wie jene, die er für seine Kunden entwerfe, könne er sich leider nicht ganz leisten. "Die Architekten sind unter den Kreativberufen die absoluten Armutschkerln und verbluten bei Wettbewerben regelrecht.“

Er selbst hat damit zu leben gelernt: Statt auf große Wettbewerbe konzentriert er sich auf Einfamilienhäuser; und statt nonstop zu arbeiten, gönnt er sich Zeit auch für seine Familie - oder für einen Brief: "Wenn mir ein Geschäftspartner daraufhin das Feedback gibt, sich, situationsbedingt spontan entschleunigt‘ zu haben - was will ich mehr?“

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