Terroristen auf Abwegen

19451960198020002020

Wien vor 35 Jahren: Nur durch einen Zufall kam es nicht zu einem Terrorakt, der die OPEC-Geiselnahme (1975) und den Anschlag am Flughafen Schwechat (1985) in den Schatten hätte stellen können.

19451960198020002020

Wien vor 35 Jahren: Nur durch einen Zufall kam es nicht zu einem Terrorakt, der die OPEC-Geiselnahme (1975) und den Anschlag am Flughafen Schwechat (1985) in den Schatten hätte stellen können.

Werbung
Werbung
Werbung

Sonntag, 1. Juli 1984: Neun pakistanische Terroristen versammeln sich nacheinander im Zimmer 218 des Hotel Imperial. Hier wohnt seit zwei Tagen ihr Anführer, der 23-jährige John Barry Cann. Die Männer bewaffnen sich und legen rote Stirnbänder an. Das soll verhindern, dass sie sich im zu erwartenden Chaos gegenseitig erschießen. Die Terroristen haben es auf einen Empfang der kanadischen Botschaft für Händler des Automobilkonzerns Ford abgesehen. Insgesamt 58 Personen sind geladen -und zwar in einen Saal ein paar Stockwerke tiefer. Um 18.45 Uhr geht Cann zum Erkunden alleine voraus. Im Parterre stößt er auf eine Tafel mit der Aufschrift "Reception" und einem senkrecht nach oben zeigenden Pfeil. Cann deutet den Hinweis falsch: Anstatt weiter geradeaus zu gehen, kehrt er in den ersten Stock zurück, wo sich ebenfalls Empfangsräumlichkeiten befinden. Dort steht er jedoch völlig unerwartet vor verschlossenen Türen. Darüber gehörig aus der Fassung gebracht, setzt sich Cann zunächst einmal an die Hotelbar und konsumiert einen doppelten Whisky. Gegen 20 Uhr sieht er nochmal nach. Aber es ist zwecklos, genauso wie ein weiterer Erkundungsversuch direkt vor der kanadischen Botschaft. Das Vorhaben wird daraufhin abgebrochen.

Später wird Cann vor Gericht fast verzweifelt aussagen: "Wenn Sie mich heute fragen, wo die Gesellschaft, die wir überfallen wollten, wirklich war, ich weiß es nicht." Dabei war es "ausschließlich" dem Missverständnis mit der "Deutung des senkrechten Pfeiles" zu verdanken, "dass der Überfall [ ] nicht durchgeführt wurde", stellte die ermittelnde Staatspolizei fest.

Die Terroristen wissen nicht weiter. Sie teilen sich auf drei kleine Hotels im 6., 7. und 15. Bezirk auf. Hier wollen sie weitere Instruktionen abwarten. Aber dazu kommt es nicht mehr. In einem der Hotels hatte man längst Verdacht geschöpft und die Staatspolizei verständigt. Fünf Pakistanis wurden an Ort und Stelle festgenommen. Sie hatten ein ganzes Arsenal im Zimmer: Drei Beretta-Maschinenpistolen, sieben Pistolen, fünf Handgranaten, mehrere Hundert Schuss Munition sowie zwei Päckchen mit jeweils einem halben Kilogramm Sprengstoff. Ebenfalls gefunden wurde Schuhpaste zum Schwärzen der Gesichter und Stricke zum Fesseln der Geiseln. Auf einem Zettel standen die Telefonnummern der anderen Unterkünfte. Innerhalb weniger Stunden konnten so die restlichen Terroristen verhaftet werden. Die Verhöre gestalteten sich zäh. Die Männer, zwischen 22 und 38 Jahre alt, waren ein bunter Haufen: Bauern, Handwerker und Studenten. Wirkliche Erfahrung hatte nur einer von ihnen, nämlich Cann.

Es handelte sich um Anhänger der Pakistan Peoples Party (PPP). Deren Anführer Zulfikar Ali Bhutto war zwischen 1973 und 1977 Premierminister gewesen, ehe er von General Zia-ul-Haq gestürzt wurde. Zwei Jahre später richtete man ihn hin. Während Bhuttos Tochter Benazir die politische Führung der PPP übernahm, organisierten seine Söhne Shahnawaz und Murtaza einen Untergrundkampf gegen das Militärregime. Dabei wurden sie von Syrien, Libyen und der PLO unterstützt. Murtaza war die eigentliche Triebkraft des Widerstands. Sein Biograf und früherer Mitarbeiter, Raja Anwar, hat ihn wenig schmeichelhaft als "terrorist prince" charakterisiert, als jemanden, der ständig neue Aktionen plante, deren Ausführung aber anderen überließ und sich selbst in Sicherheit brachte.

Wien im Visier

So war es dann auch im Falle der geplanten Geiselnahme in Wien. Diese sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Situation in Pakistan lenken. Ende Mai 1984 versammelten sich die Mitglieder des Kommandos -allesamt Angehörige von Murtazas Untergrundorganisation "Al-Zulfikar" - in Damaskus, wo sich auch das Hauptquartier für die Aktivitäten gegen Zias Regime befand. Anschließend reiste man in drei Gruppen getrennt per Schiff über Griechenland nach Ancona bzw. Rom. Dort sollte am 12. Juni 1984 eigentlich die philippinische Botschaft überfallen werden. Aber die Sicherheitsmaßnahmen waren zu engmaschig. Also rückte nach einer entsprechenden Order Murtazas Wien ins Visier. Dafür gab es einen Grund, wie Cann vor Gericht angab: "Österreich ist kein Polizeistaat." In Wien kamen die Pakistans wiederum in Dreiergruppen zwischen Mitte und Ende Juni per Bahn an. Erst hier erhielten sie die Waffen. Am 29. Juni 1984 traf sich Cann am Westbahnhof mit einem Kontaktmann, der ihm nach einer Taxifahrt zum Hotel Intercontinental einen Samsonite-Koffer übergab. Bei dieser Gelegenheit soll Cann auch zum ersten Mal über das konkrete Aktionsziel, die "Kanadische Gesellschaft" im Imperial, informiert worden sein.

Murtaza flog noch kurz nach Wien, um seine Männer, einen nach dem anderen, zu treffen. In einer Filiale der Fisch-Restaurantkette "Nordsee" händigte er jeweils 2000 Schilling aus. Dann sagte er: "Wir treffen uns wieder in Kuba" - weil man dorthin mit den Geiseln ausfliegen wollte. Weitere Anweisungen wurden von der Staatspolizei auf Mikrofilmen gefunden, die in den Schuhen der Pakistanis versteckt waren. Demnach hätten unter den Geiseln anwesende Franzosen, Schweizer und Schweden freigelassen werden sollen, während Personen aus Pakistan und Südafrika (unter dem damaligen Apartheid-Regime) erschossen worden wären. Auf der Todesliste standen weiters noch Geiseln aus Zaire, Bangladesch, Indonesien, Sri Lanka und von den Philippinen -weil deren Exekution zwar Schrecken und zusätzlichen Druck erzeugt hätte, aber gleichzeitig politisch ungefährlicher gewesen wäre - anders als der Tod von Staatsbürgern der USA oder Saudi-Arabiens, wie Cann im Verhör aufklärte.

Im Sinne der Anklage

Jedenfalls sollte so von der österreichischen Regierung das Ausfliegen erzwungen werden. In Havanna wären die Geiseln dann gegen 200 Gefangene in Pakistan ausgetauscht worden. Zumindest stellten sich das die Terroristen so vor. "Hätten wir keinen Erfolg gehabt, so hätten wir alle wieder freigelassen", meinte Cann vor Gericht. Das rief bei den Mitangeklagten so viel Schmunzeln hervor, dass der vorsitzende Richter ermahnte: "Das letzte Wort hat das Gericht, und das wird vielleicht nicht so lustig sein."

Offenbar waren die Terroristen bei der Planung davon ausgegangen, eine Riege hochkarätiger Diplomaten in ihre Hände zu bekommen. Auch in diesem Punkt hatte man sich geirrt. Wie der Betreuer der Ford-Reisegruppe in Wien aussagte, war es ein Empfang für "biedere Ford-Händler" gewesen: "Die wichtigste Person war nur der Präsident Harrigan von Ford Motor Canada."

Am 28. März 1985 wurden die Angeklagten wegen versuchter erpresserischer Entführung und Ansammlung von Kampfmitteln schuldig gesprochen. Cann erhielt 13 Jahre, sein Stellvertreter Lias Khan eine elfjährige Freiheitsstrafe. Die übrigen sieben Angeklagten wurden zu je sieben Jahren verurteilt. 1989 wurden acht der Pakistanis vorzeitig entlassen. Zwei von ihnen blieben in Österreich. Lediglich Cann war noch bis 1993 in Haft -zurück in Pakistan musste er wegen eines anderen Falls noch zwei weitere Jahre absitzen.

Der eigentliche Mastermind hingegen kam ungeschoren davon. Eine schon eingeleitete Fahndung nach Murtazar wurde unterbunden. 1993 -nachdem General Zia bei einem Flugzeugabsturz getötet und seine Schwester Benazir Premierministerin geworden war -konnte Murtazar wieder nach Pakistan zurück. Drei Jahre später wurde er unter ungeklärten Umständen von der Polizei erschossen. Dem Bhutto-Clan blieb eine weitere Tragödie nicht erspart: 2007 starb auch Benazir bei einem Attentat islamistischer Terroristen.

Der Autor ist Historiker und Affiliate Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS)

Hotel Imperial Das bekannte Hotel in der Wiener Innenstadt wäre 1984 beinahe Schauplatz eines terroristischen Anschlags von Anhängern der Pakistanischen Peoples Party geworden. Nur durch eine Falschdeutung eines Hinweises kam es nicht dazu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung