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Die Bullen sind schuld?
München und Fürstenfeldbruck, 5. und 6. September. Man stelle sich vor, die Deutschen hätten die Terroristen mitsamt ihren Geiseln abfliegen lassen — die ganze Welt hätte aufgeheult: der deutsche Staat schiebt seine Verantwortung ab und ermutigt damit zu weiteren Terrorakten! Schon deshalb mußte, als man mit Reden am Ende war, geschossen werden.
Man stelle sich aber auch vor, die Polizeiaktion wäre wenigstens insoweit geglückt, daß die Masse der Geiseln ohne allzu schwere eigene Verluste hätte befreit werden können — die ganze Welt hätte aufgejubelt: Die Deutschen haben das Prinzip von Recht und Gesetz erfolgreich verteidigt, sie haben dem Terror die einzige ihm gebührende Antwort erteilt! Auch deshalb mußte, als man mit Reden am Ende war, geschossen werden.
Aber man hatte nicht gut gezielt und nicht gut getroffen, und eben dies, der Dilettantismus der ganzen Aktion, wird seither den deutschen Behörden zum Vorwurf gemacht. Und in der Tat: die Polizei hat ihre (freilich geringen) Chancen nicht optimal genützt: Die Lufthansa-Maschine war nicht „präpariert“, fünf Scharfschützen ohne Zielabsprache waren selbst gegen nur vier Terroristen viel zuwenig, ihre Waffen hatten kein den Nachteinsatz erleichterndes Infrarotgerät, mit dem Beginn des Schußwechsels — als die Überlebenswahrscheinlichkeit der Geiseln sowieso schon nahe dem Nullpunkt war — standen weder S'turmtruppen noch Panzerwagen angriffsbereit, und so weiter und so fort. Über diese Mängel in Planung und Durchführung kann auch der amtliche Untersuchungsbericht nicht hinwegtäuschen, der dieser Tage in Bonn und München veröffentlicht worden ist.
Aber erstens: Die Terroristen verhielten sich von der ersten bis zur letzten Minute taktisch optimal: nie begaben sich alle von ihnen ins Blick- und Schußfeld der Polizei, und nie war auch nur ein Teil der Geiseln unbewacht und außer Lebensgefahr.
Und das größere Aber: Was erwartet man eigentlich von einer Polizei, deren Beamte, wenn sie in Notwehr zur Waffe greifen, ungeprüft als „schießwütige Bullen“, ja als „uniformierte Mörder“ öffentlich verunglimpft werden? Was erwartet man eigentlich von regional oder lokal zuständigen Politikern und Kommandanten, die von dem publizistischen Kleinkrieg gegen „law and order“ bereits total verunsichert sind? Und was erwartet man endlich von einem Staat, der nicht etwa bloß von den Kommunisten, sondern auch von Jusos und „modernen“ Christen, von linken Liberalen und von sämtlichen professionellen Protestierern schlechthin sofort des Faschismus bezichtigt wird, wenn er einem etwaigen Notstand legislatorisch vorbeugen will?
Man erwartet paradoxerweise, daß in der Krise dann trotzdem alles so funktioniert wie — sagen wir — bei der schon legendären Mussolini-Befereiung. Also wirklich wie im Faschismus.
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