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Kommt Hitler zurück ?

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Dies ist, wie die meisten politischen Artikel, eine Spekulation. Aber um die unerträgliche Spannung zu beheben, möchte ich gleich voranschicken: ja, Ich glaube, daß Hitler zurückkommt. Nicht der uns bekannte, der ist ja tot und erstaunlicherweise auch so vergessen, daß Umfragen in deutschen Schulen auf die Frage „Wer ist Hitler?“ nur selten die richtige Antwort bringen. Nein, der Hitler oder die Hitler, die uns bevorstehen, werden ein wenig anders sein, werden nicht alle Fehler machen, die ihr Vorbild gemacht hat.

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Dies ist, wie die meisten politischen Artikel, eine Spekulation. Aber um die unerträgliche Spannung zu beheben, möchte ich gleich voranschicken: ja, Ich glaube, daß Hitler zurückkommt. Nicht der uns bekannte, der ist ja tot und erstaunlicherweise auch so vergessen, daß Umfragen in deutschen Schulen auf die Frage „Wer ist Hitler?“ nur selten die richtige Antwort bringen. Nein, der Hitler oder die Hitler, die uns bevorstehen, werden ein wenig anders sein, werden nicht alle Fehler machen, die ihr Vorbild gemacht hat.

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Warum uns ein Hitler oder deren viele ins Haus stehen?

Die Frage beantwortet sich am besten, wenn man untersucht, warum Hitler oder die anderen Diktatoren überhaupt heraufkommen konnten. Das erregende Moment war in den meisten Fällen die Angst vor Unordnung oder gar Anarchie. Unter dem Ruf: „So kann es nicht weitergehen!“ wurden starke Männer gesucht, die Ordnung schaffen sollten. Daß das später teuer bezahlt werden mußte, wesentlich teurer als die gefürchtete Unordnung, ist eine andere Sache.

Nun, wir leben heute in einer Zeit wachsender Unordnungen, die sich schon oft zu Anarchie ausweiten. Ich spreche hier nicht von Bürgerkriegen und Kriegen wie etwa in Nordirland, in Arabien, in Pakistan; ich spreche von Unordnungen in Ländern und in Städten, in denen offiziell alles in bester Ordnung ist Ich denke zum Beispiel an die Entführungen von Flugzeugen aus Zürich und New York. Ich denke an die Befreiung von Zuchthäuslern in Berlin, wobei geschossen wurde. Ich denke an Warenhausbrandstiftungen. Ich denke an den ehemaligen Rechtsanwalt Horst Mahler.

Das alles liegt nun schon wieder einige Zeit zurück. Damals wollte ich eigentich diesen Artikel schreiben.

In der Zwischenzeit sind unzählige neue „Fälle“ von Unordnung hinzu gekommen. Die Banküberfälle in Deutschland, die Entführung von Geiseln, vor allen Dingen das Auftauchen von ungeheuren Mengen von Waffen in den Händen Jugendlicher, die nur allzu beredt sind, von ihnen Gebrauch zu machen.

Die sogenannte linke Presse hat eigentlich immer nur etwas gegen die Polizei vorzubringen, die einzuschreiten versucht. Ich spreche hier vor allem von der sogenannten linken Presse in Deutschland. Dabei müßten die Herrschaften wissen, daß in den linksregierten Ländern dergleichen natürlich nicht eine Minute oder eine Stunde geduldet werden würde. Tut nichts! Es ist erstaunlich, wie zum Beispiel die Münchner Polizei unlängst angegriffen wurde, weil sie sich entschloß, auf Bankräuber zu schießen, die ihrerseits bereit gewesen waren, eine Anzahl von Geiseln zu erschießen, und auch eine umbrachten. Tut nichts! Einer der Bankräuber, der mit dem Leben davonkam, erklärte seinem Anwalt empört, er habe fest an das freie Geleit geglaubt, das die Polizei versprochen hatte. Als ob ein Versprechen in einer solchen Situation irgend etwas bedeutete! Nicht genug damit — der junge Bursche ist wohl nicht bei Sinnen —, brachte es sein Anwalt auch noch fertig, diese Erklärung zu veröffentlichen. Töricht? Schlimmer: denn es gibt ja genug Jugendliche, die das lesen und die nun finden, daß man einer Polizei,

die einem Bankräuber, der Geiseln nimmt, kein freies Geleit verschafft, nicht mehr trauen darf. Das nächste Mal also gleich schießen!

Am schlimmsten, daß das auch noch die in München verbreitetste Abendzeitung abdruckt. Ohne Kommentar.

Dazu ist wirklich ein Kommentar überflüssig.

Was ist eigentlich Demokratie — auf die sich immer alle hinausreden, will sagen: hinausschwindeln, wenn nicht die Übertragung (delegation) der ausübenden Gewalt auf zumindest demokratisch Gewählte, also auf Minister, hohe Polizeibeamte und von diesen wieder eingesetzte Beamte. Aber gerade diejenigen werden ständig angegriffen. Ich will nicht behaupten, daß sie tabu sind, aber Personen, die gewählt worden sind, können ja auch wieder abgewählt werden.

Das geht allerdings nicht in Diktaturen. Hitler konnte niemand abwählen; Stalin konnte niemand abwählen, nicht einmal Tito kann abgewählt werden. Es sei denn durch seine eigenen Leute. In Diktaturen gibt es keine Wahlen. In Diktaturen gibt es nur Diadochenkämpfe oder innere oder äußere Revolutionen.

Aber die Münchner könnten den Bürgermeister abwählen, den Polizeipräsidenten und zahlreiche andere wichtige Beamte und sie könnten dafür sorgen, daß die von ihnen Gewählten die nach ihrer Ansicht „richtigen“ Beamten einsetzen.

Die Sache hat nur einen Haken: dazu muß man eine Majorität haben.

Aber die Majorität der Menschen — und das gilt keineswegs nur für Deutschland, sondern für alle Länder — ist nicht gegen die bestehenden Machtverhältnisse. Was ihr vielleicht vorzuwerfen ist: sie schweigt dazu, daß man die von ihr gewählten Funktionäre angreift. Das wäre schon schlimm genug.

Aber es wird noch schlimmer kommen — und das ist abzusehen. Je mehr und je öfter sich die schweigende Majorität desavouiert sieht, je mehr Unordnung entsteht und je gefährlicher und lebensgefährlicher diese Unordnung wird, um so mehr reift der Wunsch, daß irgend etwas Endgültiges geschehen, daß eine Radikallösung gefunden werden möge.

Ist es nicht typisch, daß in den letzten drei, vier Jahren fast überall eine Tendenz zur Rechten, zum Konservativen spürbar wird, wann immer es zu Wahlen kommt? Daß Bundeskanzler Brandt die Regierung nicht mit der größten sondern mit der zweitgrößten Partei ergriffen hat, gehört nicht hierher. Aber daß seither alle Wahlen, in denen die CDU und CSU überhaupt eine Chance hatten, zugunsten dieser Parteien ausgingen, sollte zu denken geben. Wenn man die Wahlen der letzten zwei Jahre zugrunde legt, dürfte die CDU/CSU bereits über mehr als 55 bis 57 Prozent der deutschen Wählerstimmen verfügen. Vielleicht noch interessanter, daß in England der absolut sichere Sieg der Sozialisten nicht stattfand, sondern die chancenlosen Konservativen ans Ruder kamen. Auch in der Schweiz zeichnet sich ein konservativer Trend ab. In Frankreich sind die Gaullisten nicht nur fest installiert, die Partei wird auch immer konservativer, um nicht zu sagen reaktionärer.

Es sei ferne von mir, zu glauben, daß konservative oder sogar reaktionäre Parteien einen oder mehrere Hitler heraufbringen müssen. Aber, das zeigen die zwanziger Jahre in Italien, in Deutschland: so hat es begonnen!

Oder versuchen wir, die Sache deutlicher zu machen. In jeder konservativen Partei gibt es einen rech-

meistens sogar einen extrem rechten. Er wird von Leuten gebildet, die nie müde werden, nach einem starken Mann zu rufen.

Und sie gewinnen an Einfluß und schließlich an Macht, je mehr die Mehrheit des Volkes oder auch nur eine wachsende Minderheit durch die turbulenten Ereignisse, die vor ihrer Nase stattfinden, zu der Überzeugung kommen: So unrecht hat dieser Mann gar nicht!

Von hier bis zu dem Satz „So unrecht hatte Hitler gar nicht!“ ist nur ein Schritt. Wenn ein Hitler wieder- kommt, wird es nicht unbedingt die Schuld derer sein, die nach ihm rufen, sondern derer, die diesen Ruf auslösten.

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