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Caetano zwischen den Feuern

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Die innenpolitische Ruhe, die Portugals Ministerpräsident Caetano durch die Fortführung eines gemäßigten Salazarismus gewährleisten wollte, ist gestört worden. Die Opposition, die aus den vorjährigen Nationalratswahlen gestärkt hervorgegangen ist, geht unverschleiert zum Direktangriff auf das Regime über.

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Die innenpolitische Ruhe, die Portugals Ministerpräsident Caetano durch die Fortführung eines gemäßigten Salazarismus gewährleisten wollte, ist gestört worden. Die Opposition, die aus den vorjährigen Nationalratswahlen gestärkt hervorgegangen ist, geht unverschleiert zum Direktangriff auf das Regime über.

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Portugals bekanntester Oppositionsführer, der Lissaboner Sozialistenchef und Rechtsanwalt Mario Soares, den Caetano aus der ihm von Salazar auferlegten Verbannung nach Säo Tome zurückgeholt hat, ist zu einem nicht zu unterschätzenden Widersacher des Ministerpräsidenten geworden. In den Vereinigten Staaten, Großbritannien und anderen europäischen Ländern wirbt er in Konferenzen, Interviews und Gesprächen mit Politikern für die Sache der portugiesischen Opposition und ersucht erstmalig offen um Wirtschafts- und Militärhilfe zum Umsturz des Regimes. Er untermauert diese Werbung mit einem Fünfpunkteprogramm, das im wesentlichen die Lösung der Kolonialfrage und damit die Beendigung des afrikanischen Krieges, die Errichtung der Demokratie in Portugal, ein Erziehungsprogramm zur Ausrottung des noch immer 35 Prozent betragenden Analphabetismus, Wirtschaftsentwicklung mit beschleunigter Industrialisierung und Agrarreform und Kanalisierung des ausländischen Anlagekapitals zum Ziel hat.

Der bisher schwerwiegendste Angriff aber kam von Franca Nogueira, Salazars langjährigem Außenminister, der von Caetano ins neue Kabinett übernommen worden war, aber wegen der tiefen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen einem neuerungsbestrebten Regierungschef und einem stockkonservativen Außenminister unvermeidlich waren, noch vor den Nationalratswahlen den Abschied nahm. In der Nationalversammlung, in der Nogueira über zahlreiche Anhänger verfügt, hielt er nur wenige Wochen vor dem für Mai vorgesehenen Besuch Caetanos in Madrid eine antieuropäische und antiiberische Rede, die viel böses Blut in Spanien geschaffen hat. Nogueira, als kompromißloser Verteidiger der portugiesischen Gegenwart in Afrika bekannt, sieht seines Landes Zukunft nicht in Europa,sondern im Schwarzen Kontinent Caetanos Integrationsbestrebungen in Europa erscheinen ihm daher gefährlich: „Wenn wir unter den uns gestellten Bedingungen in den Gemeinsamen Markt einträten, würden wir von Europa kolonialisiert werden, und dieses würde später die portugiesischen überseeischen Provinzen kolonialisieren“, erklärte er. Gegenüber dem Nachbar Spanien, mit dem Portugal durch den iberischen Pakt verbunden ist, zeigt Nogueira derartige Ablehnung und Mißtrauen, daß die Spanier, die wohl um die jahrhundertelangen Gegensätze zwischen Lissabon und Madrid, aber insbesondere zwischen dem spanischen und dem portugiesischen Volk wissen und sich noch sehr wohl an die „Freundlichkeiten“ Nogueiras während seiner Außenministerzeit gegenüber Spanien erinnern, dem Besuch Caetanos mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Spanien „wird immer stärker, reicher und größer als der europäische Teil Portugals sein ... und das bedeutet, daß wir bei einer eventuellen Pression oder Feindschaft dieses Nachbarn keine Verteidigungsmöglichkeit haben“, stellte Nogueira fest und zerstörte damit die von offizieller Seite mühsam aufgebaute Legende von der iberischen Bruderschaft. Offensichtlich traf dieser Dolchstoß Caetano unvorbereitet, denn erst Tage später ließ er über den jungen Abgeordneten Pinto Leite in der Nationalversammlung antworten: „Portugal hat nicht nur eine afrikanische und atlantische Berufung, sondern es gehört auch zu Europa“ und „Portugal muß die selbstmörderische Isolierung vermeiden“, waren die Kernsätze dieser Gegenwehr, die leicht erkennen läßt, daß in dem von Opposition und konservativem Salazarismus gegen Caetano geführten Zweifrontenkrieg letzterer im Augenblick der Schwächere ist.

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